Heute war der erste von sechs Ausbildungstagen zum artgerecht-Coach.

Ich bin gerade, um sieben Uhr abends, nach Hause gekommen und ganz extrem voll mit Eindrücken.

Wir beschäftigen uns in dieser Ausbildung mit der Frage, wie wir Menschen artgerecht leben. Was wir brauchen, damit es uns gut geht. Wie unsere Spezies erdacht und unsere Körper gemacht sind. Wofür sind bestimmte Mechanismen, die wir alle vielleicht schon beobachtet haben, da – welche sinnvolle Funktion haben sie? Und was stört den Ablauf von instinktiven Reaktionen? Hierbei werden ganz unterschiedliche Themenkomplexe angesprochen.

Heute ging es vorherrschend um das Thema „Babys tragen“ und „Geburt“. Carmen Rotterdam-Cluxen von der Trageschule Dresden war bei uns und obwohl ich den Grundkurs bei der Trageschule Hamburg absolviert habe, habe ich für mich wieder viel Nützliches und einiges Neues mitgenommen. Eine der prägnantesten Informationen für mich war, wie kurz in der Menschheitsgeschichte es erst Kinderwägen gibt. Zwar wurden Babys natürlich auch vorher irgendwie transportiert (in Schubkarren, auf Lasttieren oder zumeist in Tüchern oder Körben), aber die erste Fabrik für Kinderwägen gab es erst 1840. Eine britische (?) Adelsfrau ließ sich mangels Alternativen einen Kinderwagen von einem Sargbauer bauen – quasi einen Sarg auf Rädern. Ein wirklich eindrückliches Bild.
Damit möchte ich den Kinderwagen nicht verteufeln, aber seine heutzutage gelebte Normalität und Unausweichlichkeit in Frage stellen.

 

Der menschliche „Tiefensinn“: Definitiv unterschätzt!

Für mich sehr nachhaltig war auch das körperliche Erfahren der sogenannten Tiefenwahrnehmung, der Fähigkeit des Körpers Informationen über sich selbst zu erhalten und sich in Beziehung zu/in Bewegung mit seinem Umfeld zu fühlen.

Kinder im Mutterleib leben in völlig flüssigen Bewegungen. Jede Bewegung zieht neue Bewegungen nach sich. Bewegung ist völlig unanstrengend und braucht keine Kraft. Das Baby kann sich eigenständig bewegen und wird zusätzlich natürlich stark von der Mutter bewegt – aber auch diese Bewegungen von außen fühlen sich innen fließend an.
Kommen Babys auf die Welt und werden auf eine harte Unterlage gelegt, gibt es keinerlei flüssige Bewegungen mehr. Die Tiefenwahrnehmung, die EIGENwahrnehmung der Babys wird völlig auf den Kopf gestellt. Die Babys liegen platt auf dem Rücken, egal wie sehr sie mit ihren Armen und Beinen rudern. Nichts schwingt. Nichts fließt. Sie müssen gegen die Schwerkraft kämpfen und diesen Kampf verlieren sie – wenn sie nicht getragen werden!

Ähnlich vielleicht dem Gefühl, wenn wir uns lange im Wasser aufgehalten haben und dann aus dem Schwimmbecken steigen.

 

An uns selbst ausprobiert

Plastisch nachempfinden, was das Tragen von Babys in der Körpererfahrung ausmacht konnten wir, indem wir uns auf ein riesiges Tuch gelegt haben mit angezogenen Beinen. Sechs Leute haben sich um uns gestellt, das Tuch überall fest um uns gezogen und uns bewegt – nicht nach einem einheitlichen Muster, sondern jeder willkürlich. Ähnlich wie die Bewegungen einer Mutter, wenn sie läuft, sich bückt, dreht, streckt… Noch realistischer wäre es gewesen, wenn unter einem nicht der harte Boden gewesen wäre, aber auch so war das Gefühl für mich gigantisch!! Gleichzeitig entspannt und aktiv zu sein, zu spüren wie ich mich innerlich fallen ließ und meine Muskeln dennoch die Bewegung ausbalancierten. Und wie geborgen ich mich fühlte und wie eins mit… ALLEM.
Obwohl es nur maximal zwei Minuten gewesen waren, in denen ich geschaukelt wurde, war das Verlustgefühl immens, als es aufhörte. Ich fühlte mich wie ein tonnenschwerer, unbeweglicher Fleischklops, der irgendwie seine Bestimmung verloren hatte. Ich verstehe nun, warum vor allem Neugeborene es oft sofort mit Schreien quittieren, wenn man sie auf einer leblosen Fläche wie z.B. den Wickeltisch ablegt. Natürlich wusste ich dies aus meiner täglichen Praxis schon vorher, aber nun kann ich es verstehen, weil ich es im Ansatz (wieder) selbst gespürt habe.

 

Geburt: Oxytocin ist wie ein scheues Reh

Auch die Physiologie der Geburt zu besprechen war unglaublich spannend. Wie wichtig Privatsphäre und Ungestörtheit sind, damit der Körper die Mengen von Oxytocin ausstoßen kann, um wirklich den Körper zu eröffnen und danach das Kind auszutreiben. Und wie sehr Oxytocin gestört wird durch Angst, Unsicherheit und Scham. Also, wenn frau Menschen um sich hat, vor denen sie sich nicht gehen lassen kann, weil sie Angst vor Bewertung hat. Oder wenn sie ständig gestört wird, damit ein Arzt oder eine Hebamme den Muttermund tasten kann oder wenn sie aus ihrer instinktiven Geburtsposition in die Rückenlage wechseln muss, damit ein CTG geschrieben werden kann. Und dass manche – medizinisch ausgedrückt – sekundäre Sectio wegen protrahierter Eröffnungsphase, vielleicht nicht hätte durchgeführt werden müssen, wenn frau sich an einem Ort befunden hätte, an dem sie sich wohlfühlt, an dem sie in Ruhe gelassen wird und nur die Menschen um sich hat, denen sie vertraut (menschlich und fachlich) und nicht immer wieder durch Geräusche gestört wird.

Wenn ich an den Kreißsaal in unserem Krankenhaus denke, dann kann ich mir gut vorstellen, dass man dort ein Baby nicht (oder nur schwer) „ausscheiden“ kann. Gerade tagsüber klingelt es ständig, wenn Frauen zur CTG-Kontrolle kommen oder jemand vom Personal seinen Transponder nicht dabei hat. Oft wird die Schiebetür zum Kreißsaal aufgerissen, weil jemand die Hebamme etwas fragen muss. Oder das Telefon in ihrer Tasche klingelt. All das kann die Gebärende davon abhalten, sich in den tranceartigen Zustand zu begeben, in dem sie einfach das tut, was sie innerlich fühlt, das sie nun tun muss.

Einen großen Teil des Themenblockes nahmen natürlich auch unsere eigenen Geburtserfahrungen ein, denn natürlich muss man sich diesen bewusst sein, wenn man später (werdende) Mütter zu diesem Thema berät.

Es war sehr berührend die unterschiedlichen Geburtsberichte zu hören. Wo Schmerz ist, oder Freude.

Die Erinnerung an die Geburt meines Sohnes

2008-09-1514-05Ich war sehr überrascht, wie im Reinen ich mit meinem Geburtserlebnis bin. Objektiv sind weder Schwangerschaft noch Geburt optimal gelaufen. Gerade bei der Geburt haben mich die „Krankenhausmühlen“ voll entwischt. Empfohlener Kaiserschnitt wegen Lageanomalie meines Sohnes (aber von mir abgelehnt), erst Wehenhemmer, dann verlängerte Austreibungsphase, weil mein Sohn irgendwo festhing und meine Presswehen nicht stark genug waren. Deshalb einen Wehentropf bekommen, was scheußliche Wehen verursacht hat, die einfach über mich hinweg „gebügelt“ sind und sich überhaupt nicht „richtig“ anfühlten. Dann die Saugglocke (die letzten Endes dann nicht gebraucht wurde, aber ich höre noch das laute rhythmisch ansaugende Geräusch). Nach 5 Stunden Presswehen war mein Sohn endlich da. Ich war gerissen und musste genäht werden.

Und obwohl ich beim nächsten Mal (sollte es jemals dazu kommen) einiges anders planen würde, empfinde ich nur Glück.

Glück zum Beispiel darüber, dass meine Mutter bei der Geburt meines Sohnes dabei war. Wir haben eine schwierige Geschichte miteinander und einige Dinge mussten vorab geklärt werden. Aber sie hat mir Ruhe und Gelassenheit gegeben. Wir hatten viel Spaß miteinander. Doch an den richtigen Stellen hat sie sich komplett zurückgenommen und mir Raum gegeben, mich in mich selbst zu versinken.
In dieser ursprünglichen Situation -völlig außerhalb jedes Alltags und jeder emotionalen Mauer- habe ich das erste Mal vollumfänglich ihre Liebe für mich gespürt, durch ihr Mitleiden und ihre Tränen der Erleichterung und Freude, als mein Sohn geboren war. Das hat ganz viel in mir geheilt.

Und dann das Gefühl, als mein wunderbares Baby aus mir heraus geglitten ist (also der Rest des Körpers, nicht sein Riesenschädel ;-)), die unbändige Freude und der Stolz, dass ICH das geschafft habe, was mein Körper alles kann (zu dem ich auch Zeit meines Lebens ein schwieriges Verhältnis hatte) und das pure Glück, mein kleines Wunderwesen auf meine Brust gelegt zu bekommen und ihn endlich sehen, riechen und hören zu können… Das ist mit keinen Worten zu beschreiben.
Zweifellos war die Geburt meines Sohnes das schönste Erlebnis meines Lebens.
Und das war mir bis heute nicht so klar bewusst: Wie unbedingt ich das sagen kann und wie absurd das eigentlich ist.

 

Unendlich dankbar!

Und gerade bin ich einfach nur dankbar für diese Erfahrung, für mein unfassbar wunderbares Kind und für die nun entstandene Bewusstheit darüber.

Ich bin sehr gespannt, was ich in den nächsten Tagen alles lernen, erfahren, spüren und innerlich bewegen werde.

 

Und nun: Gute Nacht!

In die Nacht entlassen werden ich euch nun mit dem Gruppenlied, das wir heute mehrfach gesungen haben.

https://www.youtube.com/watch?v=Kjo-cXV90js

Beim Kurs sind viele Babys und Kleinkinder anwesend, denen das ganz Gelaber und die räumliche Einschränkung natürlich immer wieder zu viel war. Es war ganz erstaunlich, aber jedes Mal, wenn Nicola Schmidt ganz ruhig dieses Lied anstimmte und alle anderen mit einfielen, hörte jedes Weinen, Schreien oder lautes Gebrabbel schlagartig auf. Die Kinder lauschten aufmerksam und andächtig und fühlten sich offensichtlich danach wieder wohler. Und wir Großen auch.

 


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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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