Wutanfall

Gibt es absichtliche Wutanfälle und – wenn ja – wie geht man mit diesen um?

Kürzlich habe ich das Buch „Achtsame Kommunikation mit Kindern: Zwölf revolutionäre Strategien auf der Hirnforschung für die gesunde Entwicklung Ihres Kindes“ von Daniel Siegel und Tina Bryson gelesen.

In diesem Buch wird eindrücklich beschrieben, dass Kinder noch gar nicht in der Lage sind ihre Reaktionen zu steuern, weil der Teil des Gehirns, der für Logik, Gefühlsregulation, Vernunft usw. gebraucht wird, noch gar nicht fertig gebaut ist.


Das Gehirn als Haus – „Achtung, Baustelle!“

Die Autoren vergleichen das Gehirn mit einem Haus, in das man einzieht, obwohl nur Keller und Erdgeschoss (beispielsweise Reflexe, starke Gefühle wie Wut, Trauer, Freude, Angst) fertig sind. Die oberen Etagen werden erst im Laufe der Zeit errichtet.

Bis alles fertig ist dauert es übrigens. Erst wenn ein Mensch 20-25 Jahre alt ist, ist der Bau abgeschlossen. Wir können ja mal Wetten darauf abschließen, ob der Bau des Berliner Flughafens letzten Endes kürzer oder länger dauern wird. 😉

Deswegen ist es völlig unsinnig von einem Kleinkind logische Reaktionen zu erwarten. Und die Strategie „Ignorieren“ ist auf die lange Sicht des Lebens sogar noch unsinniger, weil dies dafür sorgen wird, dass der Mensch sein Leben lang von starken Gefühlen überschwemmt wird. Diese können nämlich nie „in die obere Etage“ integriert werden.

Wie wir mit starken Gefühlen unserer Kinder beziehungsfördernd umgehen können

Es gibt sie:

Diese Tage an denen man das Gefühl hat, man hat sich nur von einem Wutanfall des Kindes zum nächsten gehangelt.
Tage, an denen man denkt, man könnte in den Tränen des Kindes ertrinken und hätte für die nächsten 3 Jahre das Lärm-Pensum völlig ausgereizt.
Tage, an denen man manchmal auch einfach nur weg möchte – ganz alleine nach Bhutan zum Beispiel, wo das Bruttonationalglück Staatsaufgabe ist.

Leider kann man aber nicht weg. Nicht mal ein bisschen. Denn vor einem auf dem Boden liegt das brüllende Kleinkind und man kann es nun mal nicht einfach da liegen lassen (auch wenn wir damit gerne aus Hilflosigkeit drohen – hierzu hat meine Blogkollegin Susanne Mierau einen tollen Artikel geschrieben).
Genau das macht ja auch einen Großteil unseres Drucks aus: Wir können der Situation nicht entfliehen.
Und im schlimmsten Fall haben wir auch noch gerade Zeitdruck, Hunger, müssen aufs Klo oder alles zusammen.

Nun muss ich Sie leider enttäuschen: Es gibt keinen Zaubertrick, kein „Portal“, kein Wunder.
Aber es gibt viele Wege, die uns das Gefühl geben, an einem Wunder teilzuhaben – dem Wunder miteinander zu wachsen und eine Situation gemeinsam gemeistert zu haben.

Die meisten Werkzeuge sind banal.
Die Schwierigkeit besteht nicht darin, sie zu kennen, sondern sie zur richtigen Zeit parat zu haben. Hierfür brauche zumindest ich immer wieder Impulse, die sie mir wieder und wieder in Erinnerung rufen – auch in Stresssituationen.
Ich wünsche mir, für Sie oder Euch ein solcher Impuls sein zu können.

Jedes Mal, wenn eine Mutter diesen Satz über ihr tobendes Kind sagt und dies als Grund nennt, warum sie sich ihm nicht zuwendet, möchte ich gerne laut rufen:

Was heißt denn hier, nur???!“

Gestatten, ich heiße Natascha, bin 33 Jahre alt und bin süchtig nach Aufmerksamkeit.

Ganz ehrlich. Ich könnte jetzt versuchen, das schönzureden, aber so ist es.

Bekomme ich keine Aufmerksamkeit, mache ich ganz komische Sachen. Also gut, manchmal kann ich mich davon abhalten, weil mein Verstand mich daran hindert. Manchmal poste ich aber seltsame Sachen auf meiner Facebook-Seite oder mache extra Sachen, von denen ich weiß, dass ich damit Beachtung finde. Schreibe zum Beispiel einen sehr persönlichen Artikel für meine Homepage.

Ups. Erwischt.

Erster Teil:
„Strategien, die nicht beziehungsfördernd sind und warum viele Eltern so unter Druck geraten“

Das da oben bin ich. Auch wenn dies mit Sicherheit nicht die Hochphase eines Wutanfalls oder von Verzweiflung gewesen sein wird, so lese ich doch deutlich Ärger und Empörung aus meinem Gesichtsausdruck heraus. Und ich frage mich: Was in aller Welt hat meine Eltern dazu gebracht, in diesem Moment den Fotoapparat zu holen (damals hatte man noch nicht immer griffbereit das Smartphone mit integrierter Kamera in der Tasche) und mich zu fotografieren?

 

„Du siehst so süß aus, wenn du wütend bist!“

Ein Satz, den ich bis heute hasse und der mir aber dennoch auch im Erwachsenenleben (selbst im Berufsalltag) begegnet ist. Wenn ich ihn höre, weiß ich, dass ich meistens in meinem Anliegen nicht ernst genommen werde, ja, dass mir oft gar nicht zugehört wird.
Um auf die Frage oben zurückzukommen: Der Impuls, den Fotoapparat zu holen und sein Kind zu fotografieren, wenn es gerade sauer ist, ist der unbewusste Versuch, eine Distanz herzustellen. Es ist das komplette Gegenteil davon, sich mit dem Kind in seinem Schmerz zu verbinden, sich ihm in seiner ganzen Präsenz hinzuwenden. Denn stellen Sie sich eine vergleichbare Situation mal kurz mit Ihrem Partner vor: Sie sind unglaublich wütend und Ihr Partner sagt zu Ihnen: „Ich höre dir gleich zu, Schatz, aber erst möchte ich dich fotografieren. Du bist so süß, wenn du dich aufregst!“ Können Sie sich vorstellen, was Sie in diesem Moment empfinden würden?