schlechtes Gewissen

Für alle, die auch als Erwachsene noch mit ihren Eltern kämpfen
und das Gefühl haben, sich aus der Rolle des Kindes nicht befreien zu können

Viele Menschen können die Gefühle ihrer Eltern nicht betrachten, ohne sie mit ihrem eigenen Handeln in Verbindung zu bringen. Aus ihrer Kindheit sind sie es gewohnt, für die Gefühle der Eltern zur Verantwortung gezogen zu werden („Mama ist traurig, wenn du das machst.“ „Ihr treibt mich in den Wahnsinn!“) .

Ich erlebe Mütter in den Beratungen, die von Verletzungen und ständigen Diskussionen berichten. Der bloße Versuch sich in die Gefühlswelt der Eltern hineinzuversetzen, führt zu Schuldgefühlen oder dazu, dass sich diese Menschen wie ein „schlechtes Kind“ fühlen. Alleine der Versuch die Situation wertfrei von allen Seiten zu beleuchten scheitert, da häufig durch diesen Vorschlag das Gefühl entsteht, ich würde mich auf die Seite der Eltern stellen und erwarten, dass nun die Mutter, die mir gegenüber sitzt, „nachgeben“.

Ich habe wirklich einige Bücher darüber gelesen, warum die (groß-) elterliche Sorge davor, das Kinder verwöhnt werden, Quatsch ist. Mich damit beschäftigt, woher dieser Gedanke kommt. Welchem Zeitgeist und welchem Menschenbild er entspricht.

Ich dachte, ich hätte dieses Phänomen von allen Seiten beleuchtet.

Aber nie hätte ich gedacht, dass mich eine einzige Frage emotional fast an den Abgrund bringen kann.

 

Mit unserer eigenen Wut umgehen

Letzte Woche habe ich Ihnen ein paar Werkzeuge für Ihren Werkzeugkoffer vorgestellt, wie Sie der Wut Ihres Kindes begegnen können.

Aber was ist eigentlich mit UNSERER Wut?
Ganz ehrlich: Ich kann ja Bücher lesen und Texte schreiben so viel, wie ich will — an manchen Tagen herrscht in meinem Werkzeugkoffer eine unfassbare Unordnung und ich finde nicht, was ich brauche und an anderen – ist der ganze Koffer plötzlich spurlos verschwunden!

Übrig bleiben – um in der Metapher zu bleiben – immer nur zwei Dinge: Der erzieherische Schraubstock und die Brechstange. Das Ergebnis ist häufig ein paar Dezibel zu laut und beinhaltet eine Anhäufung von „Wenn-Dann“-Sätzen. Hinterher geht es sowohl mir als auch meinem Kind schlecht. Gleichzeitig mit der Scham pocht noch die Wut in meinen Adern und mein Kind fühlt sich gedemütigt, fremdbestimmt und – im Endeffekt – ungeliebt.

Erster Teil:
„Strategien, die nicht beziehungsfördernd sind und warum viele Eltern so unter Druck geraten“

Das da oben bin ich. Auch wenn dies mit Sicherheit nicht die Hochphase eines Wutanfalls oder von Verzweiflung gewesen sein wird, so lese ich doch deutlich Ärger und Empörung aus meinem Gesichtsausdruck heraus. Und ich frage mich: Was in aller Welt hat meine Eltern dazu gebracht, in diesem Moment den Fotoapparat zu holen (damals hatte man noch nicht immer griffbereit das Smartphone mit integrierter Kamera in der Tasche) und mich zu fotografieren?

 

„Du siehst so süß aus, wenn du wütend bist!“

Ein Satz, den ich bis heute hasse und der mir aber dennoch auch im Erwachsenenleben (selbst im Berufsalltag) begegnet ist. Wenn ich ihn höre, weiß ich, dass ich meistens in meinem Anliegen nicht ernst genommen werde, ja, dass mir oft gar nicht zugehört wird.
Um auf die Frage oben zurückzukommen: Der Impuls, den Fotoapparat zu holen und sein Kind zu fotografieren, wenn es gerade sauer ist, ist der unbewusste Versuch, eine Distanz herzustellen. Es ist das komplette Gegenteil davon, sich mit dem Kind in seinem Schmerz zu verbinden, sich ihm in seiner ganzen Präsenz hinzuwenden. Denn stellen Sie sich eine vergleichbare Situation mal kurz mit Ihrem Partner vor: Sie sind unglaublich wütend und Ihr Partner sagt zu Ihnen: „Ich höre dir gleich zu, Schatz, aber erst möchte ich dich fotografieren. Du bist so süß, wenn du dich aufregst!“ Können Sie sich vorstellen, was Sie in diesem Moment empfinden würden?