oder  Wann komme endlich mal wieder Ich?

Hauptsächlich verantwortliches Elternteil von einem Kleinkind zu sein ist anstrengend.
Mütter von kleinen Kindern berichten immer wieder davon, dass diese ihnen Tag und Nacht am Körper kleben und keine andere Bezugsperson akzeptieren. Die Mütter sehnen sich nach einer kurzen Zeit nur für sich allein. Einer halben Stunde ungestört in der Badewanne z.B. oder mal ein ganzes Kapitel völlig versunken in einem Buch zu lesen. Sogar kochen ohne Unterbrechungen mit lauter Musik in der Küche kann eine absolute Erholung sein.

Und dann kommen diese erschöpften und verzweifelten Mütter und fragen: „Ab wann kann ich von meinem Kind verlangen, mal eine halbe Stunde bei seinem Papa zu bleiben?“ Oder bei der Oma oder einer anderen Bezugsperson.

 

Das Kind ist nicht verantwortlich für mein Wohlergehen

Ich hänge mich an dieser Fragestellung auf, weil ich persönlich finde, dass der Begriff „von jemandem etwas verlangen“ in einer Beziehung und erst recht in einer Eltern-Kind-Beziehung nichts verloren hat.
Im Umkehrschluss hieße es nämlich, dass das Kind, so es denn dem Wunsch der Mutter nicht nachgeben kann oder will, „Schuld“ daran trägt, dass die Mutter so erschöpft ist und das ist schlichtweg eine verheerende Botschaft für das Kind und eine große Last.
Es heißt, dass die Mutter Einsicht und Rücksichtnahme von ihrem Kind braucht, um ihren Wunsch nach freier Zeit zu erfüllen und dass sie es nicht tut (oder mit einem extrem schlechtem Gewissen), solange das Kind sie nicht bereitwillig gehen lässt.
(Und jetzt bin ich inhaltlich doch wieder nur bei den Müttern gelandet, aber irgendwie habe ich noch nie einen Mann kennengelernt, der sich so mit diesem Geflecht aus hohen Ansprüchen und schlechtem Gewissen herumschlägt – ob das auf das Rollenbild oder auf die immer noch gängige Rollenverteilung zurückzuführen ist, kann ich nicht beurteilen.)

 

High Need“ ist kein Defekt des Kleinkindes, sondern seine Überlebensversicherung

Ein Baby und auch ein Kleinkind sind abhängig davon, von uns versorgt zu werden. Sie sind abhängig davon, dass wir uns als Beziehungspartner zur Verfügung stellen, dass wir für Nahrung und geborgene Schlafmöglichkeiten sorgen. Evolutionär gesehen ist es absolut sinnvoll, dass ein Kleinkind dafür sorgt, dass es nicht vergessen werden kann: Es klammert sich an seine Bezugsperson. Es ruft sich ständig in Erinnerung. Das ist kein „Defekt“ eines kleinen Kindes, sondern ein Schatz, der ihm tausende Jahre lang sein Überleben sicherte. Es braucht immer noch sehr viel Energie zum Wachsen und in einer Welt, in der die Frauen hart arbeiteten, längst nicht so gut ernährt waren wie heute und viele Kinder umhertollten, war es überlebenswichtig, mehr zu fordern als ein Erwachsener geben konnte. Dann hatte man die Chance die existenzielle Menge zu bekommen, während ruhige Kinder vielleicht eher mal zu kurz gekommen sind.

Das kenne ich z.B. von meiner Stationsarbeit: Wenn viel zu tun ist, kann ich gerade mal den Patienten begegnen, die nach mir klingeln und mich mit Fragen und Bitten bombardieren. Diejenigen, die still in ihrem Zimmer sind, besuche ich manchmal erst am Ende der Schicht und bin erleichtert, dass die sich nicht auch noch gemeldet haben.
DASS sie sich nicht gemeldet haben, heißt aber lange nicht, dass alles gut mit ihnen ist. Oft haben sie sich nur nicht getraut ihre Fragen zu stellen, weil sie ja gesehen haben, dass ich so im Stress bin oder konnten selbst nicht einschätzen, dass sich eine besorgniserregende Situation eingestellt hatte, weil ihnen das nötige Wissen zur Beurteilung fehlte.

 

Mich selbst ernst nehmen UND mein Kind

Ich bin also davon überzeugt, dass das Verhalten von Kleinkindern evolutionär sinnvoll ist.
Aber was heißt das für mich als Mutter?

Die Antwort kann hier weder pauschal sein, das Kind gegen seinen Willen abzugeben oder gegen seinen eigenen Willen über alle Kräfte bei sich zu tragen.

Gemäß meinem Leitsatz „Nah bei mir und nah bei dir“ geht es natürlich darum, sowohl mein Kind als auch mich selbst ernst zu nehmen.
Zu sehen, dass meinem Kind Abschiede schwer fallen und ebenfalls die Endlichkeit meiner Ressourcen wahrzunehmen.
Die Sehnsucht nach einer Pause. Beides darf sein.
Weder besteht ein Grund dem Kind ein schlechtes Gewissen zu machen, dass es nicht mal „eine Sekunde warten kann“, noch mir als Bezugsperson, dass ich den Wünschen nicht immer entsprechen kann. Es ist, wie es ist.
Und wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, sowohl das Bedürfnis des Kindes nach Nähe, als auch mein Bedürfnis nach Ruhe zu erfüllen, ist das natürlich wunderbar.

Aber es sind oft nicht die Eltern, deren Kinder friedlich auf dem Fußboden spielen, während die Eltern wenigstens kleine Artikel in der Zeitung lesen können oder diejenigen, die abends um 20 Uhr ins Bett gehen, so dass wenigstens der Abend zum Luftholen bleibt, die diese Fragen stellen. Oft genug sind es die Eltern von sogenannten „High-Need“- oder 24-Stunden-Babys, die schon so einen großen Frust angestaut haben, dass es vorkommt, dass sie ihre Kinder anschreien oder insgeheim wünschen, der Situation entfliehen zu können.


Übernehmen Sie selbst die Verantwortung für Ihr Wohlergehen!

Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Wann können Sie es von Ihrem Kind verlangen, dass Sie eine halbe Stunde etwas für sich tun können?

Die Antwort: Niemals.
Weil es nämlich nicht in der Verantwortung des Kindes liegt, für Sie zu sorgen. Deshalb sind Sie auch nicht das Opfer Ihres Kindes.

Die Wahrheit ist so grausam, wie befreiend: Sie sind nun Eltern und somit verantwortlich für sich UND Ihr Kind. Hier eine gute Balance zu finden und einen gangbarenshutterstock_490072930 Weg, der sich gut anfühlt, ist eine Herausforderung und es gehört, denke ich, dazu, sowohl gelegentlich von der einen als auch von der anderen Seite vom Pferd zu fallen.

Sie kennen ja sicherlich den Bibelvers, in dem es heißt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Bis heute gibt es eine einseitige Gewichtung auf den ersten Teil des Satzes: „Liebe deinen Nächsten.“ Aber es heißt eben weiter, dass der Maßstab dieser Liebe, die Liebe zu sich selbst, ist. Was brauche ich? Was tut mir gut? Was wünsche ich mir? Wer bin ich und wer möchte ich sein?
Diese Fragen darf und MUSS ich mir stellen!

Mir selbst ein guter Freund sein, mir Grenzen und Fehler zuzugestehen, liebevoll mit mir sein,…

Dies ist das größte Geschenk, das ich mir selbst, aber auch jedem anderen (und insbesondere meinem Kind) machen kann, denn natürlich lernt dieses an meinem Vorbild, wie man mit sich selbst umgeht und nimmt dies als Last oder als hohes Gut mit in sein späteres, erwachsenes Leben.


Eltern, die für sich sorgen (und dabei das Wohl ihres Kindes ebenfalls im Auge haben), sind ein Geschenk für ihre Kinder

„Wann kann ich von meinem Kind verlangen, dass…“ setzt den Fokus auf etwas, das mein Kind mir geben soll. Und es führt oft zu Unzufriedenheit und zu einem plötzlichen inneren Aufbegehren und einer plötzlichen Hau-Ruck-Aktion, wenn man „sich den Wünschen des Kindes nicht mehr länger unterordnen will“.

„Was kann ich dafür tun, dass es mir besser geht?“ wiederum lässt die Verantwortung bei mir, bei dem, was ich mir geben kann. Ich kann das Verlangen des Kindes sehen und mein eigenes Bedürfnis wahrnehmen. Ich beginne für mich zu sorgen, in dem ich auf langfristige Veränderungen setze.
Beispielsweise Schrittchen für Schrittchen Vater, Oma, Nachbar, Aktivpate oder Babysitter zu einer stabilen Bezugsperson werden lassen und diesen zutraue, die Situation auf ihre Art zu meistern. Vertrauend darauf, das es wichtig ist, mich selbst ernst zu nehmen, wenn es mir wichtig ist, dass mein Kind ernst genommen wird und dass es sich später selbst spürt und ernst nimmt.

Oft genug kommt uns aber hier unser eigenes Gefühl in die Quere:
Dass unser Kind so an uns hängt, nervt uns unter Umständen furchtbar.
Aber: Es gibt uns auch das Gefühl wertvoll und unersetzlich zu sein.
Und es ist zum einen schwierig, sich das einzugestehen und noch schwieriger zuzulassen, dass wir – vermeintlich – unwichtiger werden, indem unser Kind sich an andere Personen bindet und hier ganz andere Rituale und Verhaltensweisen kennenlernt, sich SELBST ganz anders kennen lernt, neues über sich erfährt.


Abschiede und neue Situationen sind schwer – auch für die Eltern

Ja, Ihr Kind wird vielleicht weinen und protestieren, aber Sie sind nicht die Einzige, die mit seinem Weinen umgehen kann und die es trösten und auffangen kann. Hoffentlich wird es dafür im Leben Ihres Kindes immer mehr Menschen geben, denen es vertrauen lernt und wo es sich fallen lassen kann. (Ich persönlich finde es ja auch eher bedenklich, wenn Kinder in Trennungssituationen nicht weinen, sondern klaglos über sich ergehen lassen, aber offensichtlich nicht glücklich damit sind.)

Die nicht genauso ausgesprochene, aber vorgelebte Botschaft an Ihr Kind lautet im besten Fall:
„Ja, Abschiede sind manchmal schwer und du bist gerade traurig. Ich möchte für mich sorgen und deshalb nehme ich mein Bedürfnis nach Ruhe ernst. Und ich möchte für dich sorgen, deshalb gebe ich dich nur in die Obhut von Menschen, denen ich vertraue und die dich lieben und ernst nehmen. Ich traue dir zu, mit der Situation fertig zu werden und ich traue es auch mir und deinem Begleiter zu, auch wenn ich gerade ebenfalls merke, dass mir der Abschied schwer fällt und ich Vertrauen lernen muss.“

Noch etwas Praktisches: Oft fällt es Kindern leichter, wenn sie selbst aufbrechen zu einem coolen Ort und sie wissen, dass Mama auf sie wartet, wenn sie zurückkommen. Mama aus der Tür gehen zu sehen löst hingegen in vielen Kleinkindern eine viel stärkere Gegenwehr und Angst aus.

Ein Zitat aus einem meiner Lieblingslieder „Lauf“ von Miao Mio lautet:
„Bedank dich heute mal bei dir: Zum Ausprobieren bist du hier!“

Ich wünsche Ihnen, dass Sie einen Weg finden, der sich für Sie und Ihre Familie gut anfühlt und viel Barmherzigkeit mit sich und Ihren Lieben, beim Suchen, Ausprobieren, Verwerfen und von vorne Anfangen!

 

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

      8 Comments

    1. Tine

      Antworten

      Hallo!
      Im Prinzip ist das ein schöner Artikel, aber: praktisch ist das alles immer eine andere Sache. Ich habe ein sog. High Need Kind und keine Familie in der Nähe. Babysitter klappte auch nicht. Manchmal fühle ich mich am Rande eines Burnouts und hab trotzdem keine Idee was ich tatsächlich, praktisch tun kann.

      • Natascha Makoschey

        Puh, das klingt nach einer großen Belastung.
        Ich denke, wenn Sie von sich schreiben, dass Sie am Rande eines BurnOuts sind, dann haben Sie damit Recht und es ist wichtig, dass Sie das ernst nehmen.
        Es gibt mittlerweile zahlreiche Beratungsstellen für Mütter, die am Ende ihrer Kräfte sind. Das Jugendamt bietet Familienhilfen an, die regelmäßig in die Familien kommen und entlasten. Es gibt Leihomas (www.betreut.de oder http://www.oma-und-opa-mieten.de) und Aktivpaten (www.aktivpaten.de), die auf lange Sicht ein Teil der Familie werden können, und Sie entlasten können.
        Es gibt Sport, den man mit Kindern gemeinsam ausüben kann, um einen Ausgleich zu haben (buggyFit, Kangatraining, BuzziDance etc.).
        Es gibt Vereine, die dafür da sind, belasteten Familien zu helfen, z.B. http://www.wellcome-online.de.
        Vielleicht kann eine Mutter-Kind-Kur für Sie hilfreich sein. Dafür ist es wichtig, zu beginnen, sich krankschreiben zu lassen, als Argumentationshilfe für den entsprechenden Antrag. Vereine wie die Caritas oder ProFamilia können einen beim Antrag stellen unterstützen. Und es ist möglich vorab mit den Kliniken zu telefonieren und deutlich zu machen, dass man sein Kind nicht abgeben möchte, sondern dass die Entlastung darin besteht, nichts organisieren, kochen, einkaufen… zu müssen, sondern andere Menschen um sich zu haben, mit denen man sprechen kann und einfach Ruhe.
        Bitte sorgen Sie sich um sich (und damit um Ihre Familie).

        Ich wünsche Ihnen alles Gute!

      • Tine

        Vielen Dank Natascha für Deine Worte und Vorschläge. Einiges kenne ich, ist hier auf dem Land aber nicht immer möglich/vorhanden. Mir ging es insbesondere darum auszudrücken dass es manchmal nur sehr schwer ist auch für sich selbst zu sorgen obwohl man weiß wie wichtig das wäre. Ich tue mein bestes und hoffe dass es irgendwann leichter wird.

      • Natascha Makoschey

        Liebe Tine,
        es ist immer schwer für uns selbst zu sorgen, auch weil die meisten von uns mit Müttern aufgewachsen sind, die ganz groß darin waren sich still (oder auch nicht so still) zu opfern. Zu erkennen, dass ICH mein Leben in jedem Augenblick gestalte und dass es nicht zufälliges Schicksal ist, dass ich so oder so, an dem oder dem Ort lebe, sondern dass ich eine Wahl getroffen habe oder sie zumindest auch jetzt treffen könnte. Ich könnte neu würfeln. Wenn ich es nicht tun möchte, weil mir dann Mensch a oder Möglichkeit b fehlt oder Aufwand c zu groß ist, ist das AUCH WIEDER EINE ENTSCHEIDUNG. “Mir ist es wert, so zu leben, wie ich es tue, auch wenn es gerade schwierig ist” fühlt sich anders an als “Oh mein Gott, keiner interessiert sich für mich. Hier gibt es einfach nichts, was mir helfen könnte. Die, die so oder so leben, haben es viel besser.” Erstaunlicherweise kann so eine kleine Änderung des Mindsets eine ganze Menge innerlich verändern.
        Aber es bleibt schwer. Schwer sich um sich zu kümmern, wenn man nur noch erschöpft ist. Wenn noch so viel anderes zu tun wäre. Wenn das Kind ständig unzufrieden ist (spiegelt es meine eigene Unzufriedenheit? – lohnt sich immer, darüber nachzudenken). Um zu gestalten braucht man immer Kräfte, von denen man glaubt, dass man sie nicht mehr hat. Und man braucht Mut, andere um Hilfe zu bitten. Schwäche zu zeigen. Auf der anderen Seite gibt es gerade auf dem Land auch viele ältere Leute, die sich über Besuche und Hilfe freuen und wo sich ein guter Kontakt entwickeln kann, der auch dir eine ganze Menge gibt. Vielleicht mal einen Aushang bei euch im Geschäft machen?
        Ich wünsche dir jedenfalls wirklich, dass es leichter wird und dass du deinen Clan findest, bei dem du ankommen kannst und Unterstützung findest.

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