Zuallererst die ganz unbequeme Wahrheit:
WIR haben unseren Kindern den Schnuller angewöhnt. Kein Kind hat darum gebeten, lieber ein komisches Plastikteil mit einem Silikon- oder Latex-Vorsatz in den Mund gestopft zu bekommen, anstatt an Mamas Brust zu saugen und dabei ihre warme Haut zu fühlen und ihren ganz besonders tröstenden „Zu-Hause-Geruch“ zu riechen. Das meine ich nicht so vorwurfsvoll wie es vielleicht in manchen Ohren klingen mag. Und mir ist auch klar, dass nicht in jedem Fall eine bewusste Entscheidung der Eltern dahinter steckte, ihrem Baby einen Schnuller anzubieten. Irgendwie gehört dieser in Deutschland für einen Großteil der Menschen zum inneren Bild von einem Baby.
Und in die deutsche Nachkriegsgeschichte passt dieser ja auch durchaus rein.
Letzte Woche habe ich aus einem offenen Bücherschrank ein Säuglingspflegebuch von 1966 gefunden und natürlich direkt mitgenommen. Natürlich kannte ich die Empfehlungen bereits, die dort drin standen, aber es war dennoch spannend das alles im „Original-Ton“ mit all seinen damals aktuellen wissenschaftlichen Begründungen nachzulesen.
Im Buch heißt es:
„In den ersten 24 Stunden nach der Geburt wird das Kind noch nicht zum Stillen angelegt. Es hat aus dem Mutterleib genügend Reserven für den ersten Lebenstag. Außerdem ist die Mutterbrust am ersten Wochenbetttag noch sehr unergiebig. (…) Vom zweiten Lebenstag an wird das Kind in drei- bis vierstündigen Abständen täglich fünfmal gestillt, zum Beispiel um 6, 10, 14, 18 und 22 Uhr. Untergewichtige, schwache und zu früh geborene Säuglinge müssen gegebenenfalls häufiger angelegt werden, also etwa sechs- bis achtmal. (…) Manchen Säuglingen ist die achtstündige nächtliche Nahrungspause zu lang. In solchen Fällen darf man von der grundsätzlichen Regelmäßigkeit der Mahlzeiten abweichen. Man sollte aber jeweils nur so viel Nahrung geben, wie gerade ausreicht, um den Säugling zum Schlafen zu bringen, ihn also nachts nicht etwa restlos die Brust entleeren lassen. Bei Flaschenfütterung reicht meist gesüßter Tee an Stelle der etwas schwerer verdaulichen Milchmischungen aus. Die meisten Säuglinge haben sich nach sechs bis acht Wochen an die lange Nachtpause gewöhnt und schlafen durch, ob man sie nun mit einer zusätzlichen Nachtmahlzeit versorgt hat oder nicht. (…) Das Schreien beginnt meist vier Stunden nach der letzten Mahlzeit. (…) Die Gewöhnung ist leichter, wenn das Baby nachts in einem anderen Raum schläft als die Eltern. Bekannt ist, dass Eltern das Kind im Nebenzimmer viel eher schreien lassen.“
Also ehrlich, unter diesen Bedingungen würde ich keinen einzigen Tag ohne Schnuller aushalten! Nach heutigem Wissen trinken Säuglinge üblicherweise zwischen 8-12x pro Tag an der Brust. Und sie haben ausgeprägte Clusterfeeding-Phasen, in denen sie die Brust mehrfach hintereinander leeren möchten. Ehrlich gesagt, frage ich mich, wie überhaupt auch nur eine Frau mit 5x Stillen in den ersten Tagen eine vernünftige Milchmenge aufbauen konnte!
1949 – Das Geburtsjahr des Schnullers
Aber zurück zum Schnuller. Natürlich gab es ihn in vielen Kulturen quasi schon immer: Holzstücke, Säckchen aus Stoff, die teils mit Lebensmitteln, teil gar mit Mohn befüllt waren oder in Saft oder alkoholische Getränke getunkt wurden; ich habe im Netz auch einen geschmiedeten Schnuller gefunden, der einen Aufsatz zum Saugen hat, der ganz nach Knochen oder einem Tierzahn aussah…
Den ersten Gummisauger, wie wir ihn heute kennen, gab es aber tatsächlich erst im Jahre 1949. Und seitdem ist er nicht mehr wegzudenken. Viele Mütter kriegen ihn direkt nach der Geburt mit der Windeltorte geschenkt oder bringen schon selbst welche mit in die Klinik. Und auch in den meisten Geburtskliniken gibt es für unruhige Kinder immer noch standardmäßig einen Schnuller.
Den Spruch
„Ihr Baby nutzt die Brust als Schnullerersatz“
hört man nach wie vor sehr häufig. Dabei ist der eigentlich völlig beknackt, denn Schnuller gehören im Gegensatz zur Brust evolutionär nicht zur Grundausstattung. Saugen aktiviert die Beruhigungsmechanismen im Gehirn von Säuglingen. Sogenanntes non-nutritives Saugen, also Saugen, in dem es nicht darum geht, Nahrung zu sich zu nehmen, ist also auch schon immer systemimmanent gewesen. Und es spricht überhaupt nichts dagegen dieses Saugbedürfnis an der Brust zu stillen. Im Gegenteil – es spricht einiges dafür. Keine Kieferfehlstellungen, kein anstrengendes Abgewöhnen, kein allabendliches Auskochen, kein weiterer Plastikmüll, kein ausgegebenes Geld, nicht zuletzt Stärkung der Mutter-Kind-Bindung…
Nichtsdestotrotz möchte ich Schnuller nicht per se verteufeln und es ist eben auch einfach menschlich und eine Fähigkeit unserer Spezies in jedem Lebensbereich nach Abkürzungen und Erleichterungen zu suchen. Dass gerade der Schnuller aus Sicht der Zahn- und HNO-Ärzte und nicht zuletzt der Entwicklungspsychologen und Logopäden einige eklatante Nachteile aufweist, spricht meines Erachtens nicht für eine Verteufelung, sondern nur für eine sehr bewusste und sparsame Verwendung.
Aber ich finde jetzt mal wieder den Bogen zum Anfang. Wir Eltern haben unseren Kindern den Schnuller angewöhnt. Weil wir unser Kind beim Autofahren nicht eben an die Brust nehmen konnten. Weil wir wollten, dass der Vater das Kind auch mal beruhigen kann. Weil es so unruhig geschlafen hat. Warum auch immer. WIR haben ihn angeboten. Wir haben zugelassen, dass sich unser Kind an den Schnuller gewöhnt. Dass es gar eine emotionale Bindung zu ihm aufbaut und dann vergehen – schwupp – zwei Jahre und der Zahnarzt macht uns wegen eines möglichen Fehlbisses Druck, ihn nun langsam mal abzugewöhnen. Und überall wird unser Kind angesprochen, ob es denn nicht langsam zu groß sei für einen Schnuller. Und nun kommen wir also in die Situation ihn wieder abgewöhnen zu wollen.
Bestechungen à la Schnullerfee sind gemein
Ich persönlich halte überhaupt nichts von dem ganzen Belohnungs- und Schnullerfee- Zeugs. Wenn wir erkennen, dass wir ein Problem haben, weil unser Kleinkind gerne und viel schnullert, dann ist das Allerwichtigste erst einmal, die Verantwortung für diese Tatsache zu übernehmen. Anzuerkennen, dass der Schnuller für unser Kind wichtig geworden ist. Und für uns auch, sonst hätten wir ihn ja nicht so lange zur Verfügung gestellt. Wir schätzten die Ruhe, die uns der Schnuller verschaffte und auch wir müssen uns den Schnuller und die Möglichkeit des „Ruhigstellens“ abgewöhnen. Ich weiß, das klingt unerfreulich, aber ich glaube, dass ein Großteil der Schnuller deshalb angewöhnt werden, weil wir der Meinung sei, dass Babyweinen etwas Schlechtes sei und wir es deshalb abstellen wollen. Anstatt unser Baby in seinen Emotionen zu begleiten und sie gemeinsam mit ihm durchzustehen, bieten wir ihm, sobald es weint, einen Schnuller an. Es ist also eine Art Konfliktscheue, die uns zum Schnuller führt und auch eine Konfliktscheue, die zulässt, dass der Schnuller immer länger genutzt wird. Denn wenn er nur in ausgewählten Situationen gegeben und immer wieder nach kurzer Zeit abgenommen worden wäre, dann wären wir ja jetzt nicht in dieser Situation, in der sich ein Kind an einen Tröster und Begleiter gewöhnt hat, den wir ihm jetzt wieder wegnehmen wollen.
Der Schnuller ist als Tröster und Begleiter wichtig für unsere Kinder
Aber das ist er jetzt nun mal. Er ist zu einem Bindungsobjekt geworden. Und einen Tröster und Begleiter nimmt man nicht einfach weg. Und man überredet auch niemanden, ihn abzugeben, wenn er dafür etwas tolles anderes bekommt. Oder macht das Kind lächerlich mit Worten wie “Du bist doch kein Baby mehr!” Meines Erachtens ist das unethisch und unfair. Und es wird eben der entstandenen Bindung zwischen unserem Kind und dem Schnuller nicht gerecht. Das Schnullern ist zu einem Selbstregulationsmechanismus geworden. Und jeder von uns der bis ins Erwachsenenalter andere Mechanismen zum Stressabbau hat wie Nägelkauen, Zähneknirschen, Wange abkauen und nicht zuletzt rauchen, der weiß, wie schwer diese Mechanismen wieder abzubauen sind. Manche nie.
Der leider im Jahr 2015 verstorbene Kinderarzt Rüdiger Posth vertritt in seinem Buch „Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“ die Ansicht, dass es eines Umdenkens bedürfe. Ist der Schnuller zum Übergangsobjekt geworden, dann hat er eine große emotionale Wichtigkeit und sollte nicht beziehungsweise sehr behutsam abgewöhnt werden. In seinem Buch nennt Posth die Zeit um den vierten Geburtstag herum. Dann nämlich wenn Übergangsobjekte eh langsam an Bedeutung verlieren. Hier ist seines Erachtens die körperliche Entwicklung nicht höher zu gewichten als die seelische. Bindungstheoretisch ist es sicher sinnvoller, behutsam andere Bindungen und Regulationsmechanismen zu etablieren, so dass das Schnullern für das Kind sukzessive an Bedeutung verliert.
Schritt für Schritt einen bewussten Umgang mit dem Schnuller etablieren
Für mich begänne der Weg zu einem bewussteren Umgang mit dem Schnuller etwa so:
„Mein Schatz, letztens hat die eine Frau doch gesagt, dass du zu groß für den Schnuller bist und dass den bald die Schnullerfee abholen kommt. Ich möchte, dass du weißt, dass das Quatsch ist. Der Schnuller ist dir gerade wichtig und der wird nicht abgeholt. Aber: Der Schnuller drückt gegen deine Zähne und das ist nicht gut. Deswegen möchte ich darauf achten, dass der Schnuller nicht so lange in deinem Mund ist. Immer wenn du ihn möchtest, bekommst du ihn und dann frage ich dich nach einiger Zeit, ob er wieder eine Pause in der Schnullerdose machen kann, bis du ihn das nächste Mal brauchst. Was denkst du darüber?“
Anzuerkennen wie wichtig der Schnuller für ein Kind ist, heißt in meinen Augen auch, vorauszuahnen, wann das Kind ihn brauchen könnte und ihn proaktiv anzubieten. So dass das Kind wirklich das Vertrauen entwickelt, dass es den Schnuller immer bekommt, wenn es ihm wichtig ist und Mama und Papa es auch sehen.
Wenn ein Mensch weiß, dass etwas in Gefahr ist, beispielsweise eine Beziehung kurz vor der Trennung steht, dann beginnt er Mangel zu empfinden. In der Regel klammern sich Menschen dann noch fester an etwas, aus der Angst heraus, dass es ihnen entgleiten könnte. Sie sind mit dem Verlust beschäftigt und damit etwas zu halten, anstatt auf ihre innere Stärke und ihre Bedürfnisse zu schauen.
Deswegen ist mein Rat keinen Mangel entstehen zu lassen, sondern aus der Fülle einen bewussteren Umgang mit dem Schnuller zu schaffen.
Kein Schnuller ohne Kontaktangebot
Eine wichtige Komponente ist hierbei, sich vorzunehmen, den Schnuller nie mehr ohne Kontaktangebot herauszugeben. Eltern sein ist anstrengend und bei dem Versuch alle Bälle in der Luft zu halten, sind Eltern oft maximal gestresst und geben im Laufe der Jahre oft unbemerkt ihre guten Vorsätze auf, den Schnuller als „Schalldämpfer“ zu nutzen. Damit der Schnuller im Laufe der Zeit unwichtiger ist, müssen ganz in Ruhe andere Wege der Beruhigung etabliert werden. Für viele Kinder funktioniert Körperkontakt in den verschiedensten Varianten sehr gut. Aber natürlich auch ermunternde Worte und das Gefühl gesehen zu werden.
Wenn das Kind uns mitteilt, dass es seinen Schnuller möchte, ist das immer eine Einladung zur Entschleunigung. Eine Art Achtsamkeits-Glocke, die uns dazu einlädt, einen Augenblick innezuhalten aus der Alltagsraserei und wirklich mit Liebe auf unser Kind zu blicken (und natürlich auf uns selbst). Auch im Supermarkt kann eine Kuschelpause eingebaut werden. In der Bahn. Selbst im Auto kann man eine kurze Pause einlegen und 5 Minuten eng umschlungen über einen Parkplatz laufen.
„Hier ist dein Schnuller. Gibst du ihn mir zurück, wenn du ihn nicht mehr brauchst?“
Viel Feingefühl erfordert das Zurückgeben des Schnullers. Es geht langfristig darum, dem Kind das Vertrauen zu geben, dass es den Schnuller getrost abgeben kann, weil es ihn jederzeit wieder zurück haben kann und es gleichzeitig mit anderen Wegen der Selbstberuhigung vertraut zu machen. Kuscheltücher zum Fummeln, eng auf dem Rücken der Eltern getragen sein, eine kleine Streicheleinheit, das Schließen der Augen im Buggy und dabei eine kleine „Traumreise“ zu machen.
Das Abgeben des Schnullers kann natürlich auch mit einer Geschichte oder einem Ritual verknüpft sein.
Der Schnuller geht schlafen und bekommt ein Gute-Nacht-Lied vorgesungen.
Der Schnuller macht eine Pause an Mamas Herz und wird mit Mamas Liebe gefüllt, die das Kind dann „ausschnullern“ kann. (Ich kenne einige Frauen, die den Schnuller zur Aufbewahrung in ihren Ausschnitt stecken.)
Auch fand ich die Idee aus dem Kinderbuch „Klaras Schnuller“ von Gunilla Hansson immer gut, wo der Schnuller an einen Haken gehängt wird und das Kind ihn sich immer nehmen kann. Gleichzeitig ist er aber nicht direkt auf Augenhöhe des Kindes.
Ja, und dann haben auch klassische Wege wie die Schnullerfee oder der Schnullerbaum ihre Berechtigung. Aber sie sind halt nur die Sichtbarmachung des vorher stattgefundenen Prozesses und nicht der Prozess selbst. Da viele Kinder die Figur der Schnullerfee kennen, greifen sie diese häufig selbst auf, um den Abschiedsprozess zu vollziehen.
Und bestimmt gibt es noch viel mehr schöne Ideen. Ich freue mich sehr, wenn ihr mir von Eurem Weg und Eurem Ritual erzählt.
Loslassen lernen heißt auch Vertrauen lernen
Wichtig wäre mir noch, dass das Abgeben des Schnullers nicht mit Druck oder emotionaler Erpressung durchgesetzt wird. Ich denke, wir Erwachsenen haben am meisten damit zu tun, erst einmal UNS zu “dispziplinieren”, so dass wir erst einmal selbst dran denken lernen, Kontakt anzubieten und danach zu fragen, ob der Schnuller wieder abgegeben werden kann. Wenn es dem Kind gut geht, es gesund und gerade emotional genährt ist, wird das Abgeben bestimmt immer wieder möglich sein. An Tagen, an denen alles falsch ist, das Kind müde, krank oder bereits im Kindergarten allen Kooperationswillen aufgebraucht hat, geht es dann eben nicht. Wichtig ist, dass wir das Vertrauen nicht verlieren, dass Kinder im Grunde immer kooperieren wollen, aber manchmal nicht können. Und dass es dann UNSERE Aufgabe als Eltern ist zu kooperieren.
In den von mir sehr geliebten Kloeters-Briefen aus den 70er-Jahren heißt es so schön altbacken „Sei konsequent im wohlverstandenen Sinn“. Und gemeint ist genau das: Trau deinem Kind Dinge zu, wenn es gut gelaunt ist. Und wenn seine kleine Welt gerade aus den Angeln gehoben ist, dann gib‘ nach.
Wobei ich den Begriff nachgeben nicht ganz passend finde. Im Grunde genommen ist das einfach liebevolles Verhalten. Wenn unser Partner einen beschissenen Tag hatte, dann nageln wir ihn ja auch nicht als allererstes auf ein Versprechen fest, dass er gegeben hat, als er noch nicht wusste, dass das Auto kaputt geht, der Chef mit Stellenkürzungen droht oder die Mutter ins Krankenhaus gekommen ist. Wir hören zu, wir sind da und vertrauen darauf, dass der Partner sein Versprechen einhalten wird, wenn er ihm wieder besser geht, unter Umständen schon eine Stunde später, wenn er sich durch Aufmerksamkeit, Da-Sein oder eine lange Umarmung wieder etwas erden konnte.
Das ist gelebte Liebe.
Schnullerentwöhnung ist ein Prozess der Achtsamkeit
Auch ein Prozess des Vertrauenslernens und des Reifens – und zwar sowohl des Kindes als auch von seinen Eltern. Die bewusste Verwendung kann jederzeit begonnen werden. Und wenn möglich auch ohne Schuldgefühle darüber, dass die Schnullernutzung schleichend immer selbstverständlicher geworden ist. Denn während eine Mutter, die stillt ihr 2-jähriges Kind nicht mehr stundenlang saugen lassen würde und langsam beginnt für sich selbst zu sorgen, ist die Versuchung bei einem Schnuller ungleich größer, ihn dem Kind dauerhaft zu überlassen. Irgendwie gewöhnt man sich auch an das Bild des Kindes mit dem Schnuller im Mund. Ich war auch ganz überrascht, auf wie vielen Fotos mein Sohn einen Schnuller im Mund hatte.
Mein Weg der Entwöhnung war übrigens sehr abrupt und ich würde ihn heute so nicht mehr gehen. Ich hatte mir ganz klug überlegt, nach dem dritten Geburtstag meines Sohnes einfach keine neuen Schnuller mehr zu kaufen. Irgendwann wäre dann der letzte verloren gegangen oder kaputt und dann wären „Fakten geschaffen“. Ja, so war es dann auch. An einem Samstag Abend, an dem ich Besuch von einem Freund hatte. Das Kind schrie und ließ sich über Stunden nicht zum Einschlafen bewegen, während unser Treffen daraus bestand, auf Knien durch die Wohnung zu rutschen, um diesen vermadeleiten Schnuller zu finden. Irgendwann ist mein Kumpel dann nach Hause gegangen und nach Mitternacht ist mein Sohn endlich eingeschlafen. Ich war so erschöpft, dass ich beschloss baldmöglichst neue Schnuller zu kaufen. Erstaunlicherweise fragte mein Kind nach dieser Nacht nie wieder danach und wollte auch von seiner Kuschelhose nichts mehr wissen. Das Thema hatte sich seitdem erledigt. Ich denke aber, dass dieser Weg ihm und mir unnötigen Stress zugemutet hat und würde heute sanftere Wege bevorzugen.
Und wie ist es mit bindungsorientierter Brustentwöhnung im Kleinkindalter?
Nochmal kurz zur Situation von Müttern, die ihre Kinder im Kleinkindalter stillen: Auch wenn kein Schnuller verwendet wird, klagen auch stillende Mütter immer wieder darüber, dass das Kind sich phasenweise wieder permanent an der Brust rückversichern muss. Häufig wird beschrieben, dass es aber weniger richtig trinke, sondern eher andauernd nuckeln würde. Offenbar gibt es während bestimmter Entwicklungsschritte einfach ein großes Saugbedürfnis der Kinder. Auch hier können zweigleisig andere Beruhigungsgsmethoden angeboten werden und gleichzeitig der Still-Wunsch zu Beginn jederzeit erfüllt und sogar proaktiv angeboten werden. Im Laufe der Zeit kann die Stillbeziehung dann mehr gestaltet werden, so dass auch die Mutter sich wieder wohlfühlt. Während Mütter sich im Säuglingsalter gerne zurücknehmen, lässt diese Bereitschaft im Kleinkindalter langsam nach.
Und das ist evolutionär gesehen auch sinnvoll! Stillen verbraucht Ressourcen und bindet die Mütter zeitlich und räumlich. Und so wichtig das Stillen emotional immer noch ist – es ist nun körperlich nicht mehr überlebensnotwendig, so dass nun eine Stillbeziehung austariert werden kann, die nicht nur die Bedürfnisse des Kindes, sondern auch die der Mutter miteinbezieht. Ein Kind, das jedoch merkt, dass seine Mutter es innerlich weg schiebt, wird sein Stillbedürfnis nicht leicht aufgeben können. Im Gegenteil – es merkt, dass etwas im Umbruch ist und dass seine Mutter es nicht mehr gern an die Brust lässt. Somit ist das Stillen weniger “nährend” als sonst und das Kind wird eher noch unruhiger, weil häufig noch keine andere Regulationsmechanismen zur Verfügung stehen. Hier entsteht häufig ein unguter Kreislauf, der Mütter und Kinder verzweifeln lässt. Da es hier natürlich auch um die körperliche Integrität der Mütter geht, beginnt hier der Prozess der Sichtbarmachung der eigenen Person. Auch hier können für das Kind sichtbare Zeichen helfen: Ein bestimmtes Lied, währenddessen das Kind saugen kann, um danach erst einmal wieder eine Brustpause zu machen. Eine 15-Minuten-Sanduhr, die anzeigt, wie lange es mindestens dauert, bis das nächste Mal getrunken werden darf und während dessen andere Bindungsangebote gemacht werden. Natürlich werden auch diese “Übungsphasen” nur auf die Zeiten gelegt, an denen es den Kindern gut geht und sie ausgeruht sind. Erst wenn das Kind einige positive Erfahrungen gemacht hat, können diese Erfahrungen in kleinen Schritten in “Krisenzeiten” ausprobiert werden
Welcher Beruhigungssauger hat am wenigsten Nachteile für Babys und Kleinkinder? Zur Anforderung an Beruhigungssauger habe ich einen Beitrag einer Arbeitsgruppe der Uniklinik Innsbruck gefunden, die ich ganz plausibel finde.
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6 Comments
a n n i k a
wao. in diesem artikel finden sich bestimmt viele familien wieder; egal mit welchem übergangsobjekt. so ein 60er-jahre-buch habe ich neulich auch auf einem speicher gefunden. darin wurde gepredigt, dass kinder ihren eltern gehorchen sollen und das klang genauso lieblos wie “eltern lassen ihr kind im nebenzimmer eher schreien”. diese ideen zur schnullerentwöhnung haben mir gefallen: zahngesundheit statt schnullerfee, schnuller anbieten statt mangel, kontakt anbieten, entschleunigung. so ähnlich machen wir es hier auch gerade. von überall her prasseln schnullerfeegeschichten von teuren geschenken aufs kind ein. kind bekommt aber eigentlich oft genug kleine geschenke vom flohmarkt oder selbstgebastelt und hat gar kein bedürfnis nach größeren sonderwünschen. das bedürfnis nach ruhe, entschleunigung und kontakt zeigt es aber ganz deutlich. die geschichte von klaras schnuller kennen wir schon lange und legen den schnuller auch gerne auf ein regal oberhalb der augenhöhe. so hat kind das vertrauen das ding noch im griff zu haben. kind braucht schon lange den schnuller nur noch kurz zum einschlafen und könnte stattdessen genausogut mit stillen einschlafen. das hat es sich aber abgewöhnt, weil die kindergartenmitarbeiter erklärt haben, dass das nur was für babys sei. prima, wenn das kind dann deswegen in zehn jahren immer noch mit schnuller rumrennt, kommt dann der gleiche spruch nochmal… danke für die sichtweisen über loslassen und vertrauen.
Natascha Makoschey
Liebe Annika, vielen Dank für deine Nachricht! Es freut mich immer sehr zu lesen, dass ein Artikel von mir “ankommt”. 🙂 Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir das auch zu schreiben! Alles Liebe und viele Grüße, Natascha
Karin Hütter
Liebe Natascha Makoschey,
ich – Logopädin in Graz – habe deinen Beitrag mit größter Bewunderung und Freude gelesen! Du sprichst mir aus der Seele. Ich halte Vorträge für Eltern und Pädagoginnen genau zu diesem sehr sensiblen Thema und sehe es genau so wie du. Ich freue mich außerdem, dass du die Arbeit meiner Kolleginnen aus Innsbruck erwähnst – auch sie haben ganz viel zum Thema Schnuller/Stillen/Flasche geforscht, nachgedacht, beschrieben und veröffentlicht.
Ich hoffe, es ist dir recht, wenn ich deine Website in meinen Vorträgen anführen darf, wenn jemand Nachlesen möchte…
LG aus Graz! Karin Hütter
Natascha Makoschey
Liebe Karin,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich, dass dir der Artikel so gut gefällt. Auf die Kollegen in Innsbruck bin ich durch Zufall gestoßen, als ich versucht habe, herauszufinden, WAS man als Stillbegleitern Müttern, die die Flasche/Schnuller geben denn raten kann. Produktnamen fallen natürlich raus, also brauchte ich objektive Kriterien, an denen die Eltern sich halten können. Ich war sehr froh darüber, als ich diese Dateien dann gefunden habe!!!
Natürlich darfst du meine Website gerne empfehlen. Darüber freue ich mich sehr!
Ganz viele liebe Grüße
Natascha
Rebecca
Hallo,
dieser Artikel nimmt mir gerade so eine Last von den Schultern. Wir versuchen schon länger den Schnuller abzugewöhnen, weil wir konsequent sein wollen mit schlimmem Weinen meiner Tochter. Es ist traumatisch für alle und das kann nicht der Weg sein. Auf meiner Suche nach Alternativen habe ich jetzt diesen wunderbaren Beitrag gefunden! Er spricht mir so aus der Seele! Ich sehe einfach, dass mein Kind den Nunni in bestimmten Situationen noch braucht und nicht nur aus Gewohnheit und „bestimmen wollen“. Und es ist jetzt unsere Aufgabe Alternativen zu etablieren.
Vielen Dank für diesen Artikel, er hilft so sehr <3
Natascha Makoschey
Liebe Rebecca,
es freut mich sehr, dass mein Artikel für dich hilfreich war! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir das zu schreiben. Für mich ist es sehr wertvoll, dass meine kurze Zeit als Bloggerin für manche Menschen eine Bedeutung hatte und hat.
Herzliche Grüße und alles Gute für dich und deine Familie!