Letzte Woche habe ich Susanne Mieraus Buch „Ich! Will! Aber! Nicht! – Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern“

gelesen, das im letzten Jahr im GU-Verlag erschienen ist.

Ganz liebenswert geschrieben. Kann man gut lesen. Aber jetzt auch keine wahnsinnig neuen Erkenntnisse für Menschen, die schon in dem Thema drin sind und beispielsweise bereits das Buch vom „Gewünschtesten Wunschkind“

gelesen haben. Gerade die praktischen Tipps sind meiner Meinung nach relativ dünn.

Über eine Stelle bin ich jedoch richtiggehend gestolpert.

Mierau schreibt: „Nutze einen Abend, um aufzuschreiben, was dir persönlich wichtig ist und wovon du nicht abweichen möchtest: Gibt es bestimmte Regeln für die Mahlzeiten (Essen beginnt mit einem Tischspruch, wir bleiben am Tisch, bis alle fertig sind), für das Schlafen, für draußen? Es hilft oft, sich seinen persönlichen Leitstern einmal zu formulieren. Diese Grundgedanken solltest du abgleichen mit denen deines Partners, denn es ist wichtig, an einem Strang zu ziehen. Vielleicht gibt es Unterschiede, über die ihr sprechen könnt. Gibt es Dinge, die dem einen besonders wichtig ist, sollten wir uns gemeinsam daran halten.“ (S. 135 unten)

Um es mit meinem Sohn zu sagen:
„What da fish??“

Und was ist, wenn man die Grundgedanken nicht abgleichen kann? Ist ja auch ne absolut revolutionäre Idee, mal darüber zu reden. Ach, es wird so gemacht, wie derjenige, dem es wichtiger ist, es gerne hätte — Wie bitte misst man das denn?

Was ist mit der unreflektioniert dahin geschriebenen Begründung, „denn es ist wichtig an einem Strang zu ziehen“? Ist das wirklich so?

Muss man dann so lange diskutieren, bis man einer Meinung ist? Und was passiert, wenn man keinen gemeinsamen Konsens findet?

Um es kurz zu sagen: Ich halte es für Quatsch, dass es elementar wichtig ist, dass Eltern in allen Dingen an einem Strang ziehen. Wie soll das auch gehen?

Obacht bei der Partnerwahl!

Natürlich wäre es großartig, wenn man sich einen Partner aussuchen würde, der auch im Umgang mit Kindern die eigenen Grundwerte teilt. Aber mal ehrlich – bevor ich mein Kind bekam hatte ich selbst noch ÜBERHAUPT keine Ahnung, welche das sein könnten. Also, ich wusste, dass ich meine Kinder nicht schlagen wollte. So weit so gut. Ansonsten habe ich in der Schwangerschaft fröhlich „Jedes Kind kann schlafen lernen“ gelesen und das kam mir alles sehr plausibel vor. Wehret den Anfängen! Bloß das Kind nicht verwöhnen!

Und auch in meinem Umkreis ist es so, dass meist die Frauen vor oder während der Geburt ihres Kindes plötzlich 180°-Wendungen hinlegen. Plötzlich wird familiengebettet und windelfrei versucht. Aber die wenigsten überlegen sich das schon VOR der Zeugung. Das sind also schon mal ziemlich schlechte Grundvoraussetzungen für ähnliche Grundwerte.

Ja, und die ändern sich ja auch. Beziehungsweise es ändert sich, wie es gelebt und verstanden wird. Grundwert Liebe zum Beispiel. Super Grundwert. Aber was heißt denn ‚Liebevolles Handeln‘? Sind Konsequenzen liebevoll, weil ich mein Kind auf eine spätere Zukunft in unserer Leistungsgesellschaft vorbereite oder sind sie es nicht, weil ich mich über das Kind stelle und sein Tun als schlecht bewerte?

Ich meine, die meisten Eltern werden sich darin einig sein, dass Liebe ein guter Grundwert ist. Aber gelebt wird dieser doch seeehr unterschiedlich. Und jedes Elternteil durchlebt hier im Laufe der Jahre doch selbst Prozesse, Herausforderungen und Zweifel. Selbst wenn ich mich grundsätzlich dazu entschieden habe viele Bausteine des „Attachment Parentings“ in meinen Umgang einfließen zu lassen, heißt das nicht, dass ich nie Phasen des Zweifels durchlaufe, in denen ich mich frage, ob ich den richtigen Weg gehe und ob ich hier und da nicht doch etwas strenger sein sollte. Das heißt: Ich alleine schwanke schon mal oder anders gesagt:

Ich ziehe mit mir selbst doch manchmal nicht an einem Strang!

Wie soll sich denn dann der Partner dazu positionieren? Muss der dann aus Solidarität mitschwanken? Oder schließt man sich im Esszimmer ein und redet wieder so lange, bis man wieder irgendwo „eingenordet“ ist?

Ich mag ja schon den Begriff nicht. An einem Strang ziehen.

Ich denke da an Tauziehen. Also die Eltern auf der einer Seite und die Kinder als Gegner auf der anderen. Da mag ich das Bild lieber, das man gemeinsam in eine Richtung blickt. Und noch lieber mag ich: Ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Vision haben.

Denn das gibt den Eltern die Möglichkeit sich ihrer Vision von ganz unterschiedlichen Richtungen zu nähern, an unterschiedlichen Punkten zu stehen, jeder für sich zu wachsen.

Mal deutlich gesprochen:

Wenn Eltern sich in allem uneinig sind, ist das extrem anstrengend. Vermutlich kann eine Partnerschaft das auf die Dauer auch nicht aushalten. Wenn Eltern dazu auch noch gegeneinander arbeiten und sich vor den Kindern bekriegen, ist das tatsächlich auch schädlich.

Wenn Eltern Kindern vorleben, wie man einander ausspielt, werden diese natürlich genau das übernehmen.

Sie werden immer wieder in die Position gedrängt, sich für eine Partei entscheiden zu müssen.

Aber so müsste es nicht sein!

Verschiedene Meinungen sind spannend.

Umgang mit Pluralität ist in unserer Gesellschaft eine enorme Herausforderung und sie beginnt – in unseren eigenen vier Wänden. Hier ergeben sich ganz direkte Felder für die Wertevermittlung: Wie geht man mit der Andersartigkeit, dem abweichenden Denken von Menschen um? Bekämpft man diese? Wertet man sie ab? Oder ist man neugierig? Versucht sie zu verstehen? Versucht einen Konsens zu finden, einen Kompromiss, zu „unden“?

(Unden meint: Keine ‚Entweder-Oder‘- sondern ‚Sowohl-als-auch-‘-Lösungen.)

Und wenn man etwas auf die Weise des Partners macht, obwohl man es selbst anders machen würde? Tut man dies beleidigt oder als wahres Geschenk an den anderen? Erwartet man dafür Dankbarkeit oder eine andere Gegenleistung? Tut man es aus dem Gefühl heraus keine andere Möglichkeit zu haben, oder fühlt man die bewusste Wahl und kann diese auch selbstbewusst vertreten?

Ich behaupte, dass unterschiedliche Erziehungsansichten für Kinder überhaupt kein bisschen schädlich wären, wenn hier zwischen den Eltern ein neugieriger, liebevoller und respektvoller Umgang herrschen würde. Wenn beiden Eltern ganz deutlich wäre, dass sie beide zu 100 Prozent berechtigt und verantwortlich dafür sind, ihren Kindern die Welt aus ihren Augen zu zeigen. Dass sie beide – so oder so – ob einig oder uneinig, zusammenlebend oder getrennt, jeder zu 100 Prozent das Recht und auch die Verantwortung für eine eigene, unabhängige Beziehung zu ihrem Kind haben.

Dann würde nämlich auch das Tauziehen darum aufhören können, wer das bessere Elternteil mit den richtigeren Ansichten ist.

Und dann würden die Kinder die Botschaft bekommen, dass ihren Eltern verschiedene Dinge wichtig sind.

Werden unterschiedliche Meinungen zu einem Thema vertreten, das beiden sehr am Herzen liegt, dann sieht es halt so aus:

„Wir sind uns einig darin, dass wir euch lieben und dass jeder von uns das Beste für euch möchte. Und weil wir beide ganz unterschiedliche Dinge erlebt haben, sieht ‚das Beste‘ für uns beide verschieden aus. Deshalb möchten wir mit euch darüber reden und hören, was euch wichtig ist und daraus das Beste für diese Familie basteln. Es gibt Kakao und Kekse.“

Das ist dann schon nahe an Thomas Gordons „Familienkonferenz“

. Und dabei ist es doch egal, wer dazu einlädt. Sobald sich jemand nicht gesehen fühlt, mit etwas unzufrieden ist oder eine Idee hat, wie man den Alltag leichtfüßiger gestalten kann, darf die von jedem Familienmitglied einberufen werden.

Wichtig ist für Kinder zu merken: Unsere Eltern sind im Gespräch miteinander – und mit uns

Sie hören einander zu und bekämpfen sich nicht. Manchmal finden wir nicht sofort eine Lösung, die sich für alle gut anfühlt und probieren verschiedene Sachen aus. Aber das ist okay. Es ist nicht immer leicht alle Bedürfnisse unter einen Hut zu kriegen. Manchmal ist es anstrengend. Am Ende aber geht es darum, dass wir uns alle wohl fühlen und das ist ein Ziel, das uns allen viel bedeutet.

Allein: Wir Eltern haben diesen Umgang mit Unterschieden oft nicht gelernt. Und deshalb löst Andersartigkeit oft Ängste und Bewertungen aus. Auch Schuldzuweisungen sind nicht selten: „Wenn du unser Kind nicht so verwöhnen würdest, würde es jetzt hier nicht so ein Theater machen!“ Und da liegt der Hund begraben: Es ist der oft erbitterte Kampf, der schädlich ist, der emotional verletzt und tiefe Wunden schlägt, sowohl für Eltern als auch erst recht um ein vielfaches potenziert für die Kinder. Wie fühlt es sich wohl an, wenn sich die Eltern streiten, von wem das Kind diese oder jene vermeintlich schlechte Eigenschaft hat? Wer Schuld daran ist? Ich glaube, dass eine unglaubliche innere Isolation die Folge ist und das Gefühl nicht geliebt zu sein und irgendwie auch gerade verdinglicht und vollkommen missverstanden zu werden.

Und somit kann ich der Aussage von Susanne Mierau vielleicht insofern dann doch zustimmen, wenn „an einem Strang ziehen“ bedeuten würde, dass die Eltern auf einer Seite sind. Nicht einer Meinung. Aber dass sie als wertschätzend handelndes Team agieren.

Vielleicht hat Susanne Mierau oben stehenden Absatz genau so gemeint. Nun da ich an den Schluss dieses Artikels angelangt bin und ihn noch einmal lese, halte ich das zumindest für möglich.

Wertschätzende Kommunikation kann gelernt werden.

An erster Stelle steht die Entscheidung den Kampf aufzugeben. Diese Entscheidung kann auch von einem Elternteil alleine getroffen werden, denn wenn einer aufhört zu kämpfen, ist der Kampf vorbei.

Gerne unterstütze ich Dich oder Euch auf diesem Weg.

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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