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Kennt ihr den Begriff „Erlernte Hilflosigkeit“?

Dieser wird verwendet, wenn ein Mensch den Glauben an seine Fähigkeit und auch sein Recht zur Gestaltung seines Lebens – oder Teilen davon – verloren hat. Obwohl ihm theoretisch wie jedem anderen Menschen auch viele Möglichkeiten offen stehen, sein Leben zu verändern und damit hoffentlich zu verbessern, kann er sie nicht ergreifen. Und ich rede wirklich von „Können“.

In Experimenten wurden der Boden eines Versuchskäfigs mit Hunden unter Strom gesetzt. Ein Teil der Hunde hatte die Möglichkeit sich über eine kleine Hürde in einen Bereich des Käfigs zu retten, in dem der Boden nicht unter Stromspannung stand. Dem anderen Teil der Hunde stand diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Sie waren gezwungen in dieser misslichen Situation auszuharren und sich mit dieser zu arrangieren.

Setzte man sie später in denjenigen Käfig, in dem es möglich war den Spannungsbereich durch einen Sprung über die Hürde zu verlassen, taten sie dies dennoch nicht. Sie versuchten genau GAR NICHTS um der Situation zu entkommen, sondern hatten bereits verinnerlicht, dass diese ausweglos war und sie einfach nur warten konnten, bis die peinigenden Stromstöße ein Ende nahmen. Sie blieben völlig passiv.

Genauso ist es mit domestizierten Tieren, die die Zügel als mächtiges und kontrollierendes Werkzeug erfahren haben. Selbst wenn sie nur an einem mickrigen Stuhl angeleint sind oder einem dünnen morschen Zaunpfahl, bleiben sie brav und angepasst stehen, obwohl es ihnen ein leichtes wäre sich loszureißen.

 

Immer schön in der Scheiße liegen bleiben, die man schon kennt

Diese erlernte Passivität hat natürlich immense Auswirkungen auf die Lebensqualität eines Menschen:

Welchen Beruf jemand ergreift (wo das Wort „ergreifen“ ja schon eine gewisse Aktivität voraussetzt, zu der viele Menschen gar nicht fähig sind).

Ob sich jemand woanders bewirbt oder sich Hilfe bei der Gewerkschaft sucht, wenn ein Chef unfair ist oder es mobbende Arbeitskollegen gibt. Hält es jemand dennoch bis zur Rente (oder zum Burn-Out) bei dieser Arbeitsstelle aus?

Welche Beziehung er lebt und ob er sich in dieser Beziehung ehrlich zeigt oder sich versteckt.
Ob jemand in einer Umgebung lebt, die ihm gefällt und sich dafür einsetzen kann, diese sauber zu halten und es sich selbst schön zu machen.

Wie jemand damit umgeht, wenn unangenehme Post kommt. Öffnet er diese oder steckt er sie ungeöffnet in irgendein Fach, bis irgendwann der Pfändungsbescheid ins Haus flattert?
Oder wie jemand eine Situation löst, in der er sich zwischen zwei Dingen entscheiden muss – beispielsweise zwei interessante berufliche Möglichkeiten oder zwei Freunde, die für den selben Abend eine Verabredung vorschlagen.

… Die Liste ist endlos und wenn ihr nachdenkt kennt ihr sicherlich auch die eine oder andere Person, die in diesem Bereich immer wieder Schwierigkeiten hat.

 

Am Anfang war… die Autonomiephase

Der Ursprung zu diesen Problemen liegt ebenfalls im Alter zwischen dem ersten und vierten Geburtstag.

Kleine Kinder sind zum einen unglaublich neugierig. Ihr gesamtes Gehirn steht auf Exploration. Ausprobieren von neuen Dingen. Dem tausendmaligen Überschreiten von Grenzen (eigener und auch denen von anderen) um Regelmäßigkeiten zu verstehen. Der Entwicklung von einem immerwährenden „Ja“ zu einem „Nein“.
Mit dem „immerwährendem Ja“ spreche ich von der symbiotischen Einheit mit der Mutter, die das erste Lebensjahr des Kindes ausmacht. Es gibt kein „Nein“. Und weil es kein „Nein“ gibt, gibt es kein „Ich“. Aus dem „Ich bin…“ folgt ein staunendes „Ich bin… anders als du.“ Und diese Andersartigkeit beginnt sich zu definieren über Abgrenzung. Deswegen ist die sogenannte „Trotzphase“ kein Makel, sondern existenziell wichtig für die psychische Entwicklung unserer Kinder.

Die Art, wie wir als Eltern auf unsere Kinder reagieren, ist also entscheidend dafür, welche Erfahrungen unser Kind mit Selbstwirksamkeit macht.

Danke an Markus Spiske und Pexels

Darf es neugierig sein? Darf es sich ausprobieren? Gibt es Möglichkeiten wo es toben kann, laut und expressiv sein kann?

Suchen wir nach Alternativen, wenn in unseren Augen wertvolle Gegenstände in Gefahr sind? Oder setzen wir nur ein Verbot durch?

Mit welchen Mitteln versuchen wir, unsere Kinder dazu zu bekommen zu tun, was wir von ihnen möchten? Argumentieren wir sie in Grund und Boden? Manipulieren wir sie – beispielsweise mit ihrer Liebe und Abhängigkeit zu uns? Oder verarschen wir sie mit Unwahrheiten? Ich denke da an das Buch, das vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde „Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn!“ mit einer Menge unterhaltsam-seiend-sollender Geschichten in sich versammelnd, mit welchen Lügen und Tricks Eltern ihre Kinder aufs Übelste manipuliert haben. Der allgemeine Tenor in den Medien war Beifall.

Wird ein Kind bedroht und erpresst? Angeschrien? In seinem Zimmer isoliert oder auf andere Weise ausgegrenzt?

Wird es nach seiner Meinung gefragt und ein „Nein“ ernst genommen? Werden seine non-verbalen Signale wahrgenommen und beachtet?

Wie wird reagiert, wenn ein Kind ungute Strategien anwendet um auf eine vorhandene innere Not, eine emotionale Schieflage hinzuweisen? Wenn Geschwister geboren werden? Nach einem Umzug? Wenn Eltern sich trennen oder Krankheiten haben? Wenn es im Kindergarten unglücklich ist?

Also, ganz allgemein gesagt:

Erfährt das Kind in den ersten Lebensjahren, das seine Meinung Gewicht hat, dass es gehört wird und dass es etwas bewirken kann?

Oder erfährt es, dass es keine Macht hat, sein Leben mitzugestalten, dass andere alles für ihn bestimmen.

 

GleichbeRECHTigung heißt nicht GleichverPFLICHTung

Jetzt werden Kinder sowieso in ihre Familie und deren Begebenheiten hinein geboren. Und durch ihre fehlende Erfahrung und die Verantwortung der Eltern in unserer Welt zu bestehen, ergeben sich sowieso schon ein gewisses Machtgefälle und Ohnmacht.
Um so wichtiger ist es in meinen Augen, Kindern innerhalb der vorhandenen Rahmens so viele Mitgestaltungsoptionen wie möglich zu geben. Ihnen im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Neigung Entscheidungen für ihre Bereiche zu übertragen.
Natürlich: Ein Kind hat ebenso das Recht ein sorgloses Kinderleben zu führen und das Gefühl zu haben, das seine Eltern sich um alle Belange des alltäglichen Lebens kümmern. Es sollte nicht mit Entscheidungen überschüttet werden, die viel zu groß für es sind.
Und es ist natürlich auch eine Typfrage: Manche Kinder mögen es in viele Entscheidungsprozesse von Anfang an mit eingebunden zu werden, während es anderen reicht, wenn sie ernst genommen werden, falls sie nach den ersten Vorüberlegungen ein Veto einlegen. Es geht nicht darum, dass ein Kind schon Entscheidungen treffen MUSS.
Aus einem gleichen RECHT zu partizipieren leitet sich keine PartizipationsPFLICHT ab (wie bei uns Erwachsenen und dem Thema Wahlen und Politik).

 

Die Wichtigkeit so sein zu können wie man ist (oder wie man sich fühlt)

Es gibt aber ja nicht nur das Feld der alltäglichen Entscheidungen, sondern neben diesen IST das Kind ja auch auf eine bestimmte Weise. Es will spielen, singen, manchmal laut und wild sein. Es will lernen sich zu behaupten und sich auf eine Weise in Worten, Geräuschen und Taten ausdrücken, die zu ihm, seinem Wesen und seiner aktuellen Gemütslage passt.

Die Entfaltung eines eigenen Ichs zu begleiten fällt vielen Eltern schwer. Was natürlich zum einen daran liegt, dass manche Phasen auf diesem Weg wirklich nicht leicht auszuhalten sind und zum anderen an dem oft begrenzenden Faktor der Umwelt (enge Straßen, viel Verkehr), der Gesellschaft (Mietwohnungen) und unserer eigenen Erschöpfung (nach einem anstrengenden Arbeitstag den Nachmittag mit einem ebenso emotional abgefrühstücktem Kind verbringen).

Wie reagiert man denn nun auf eine gute Art und Weise, wenn das Kind nun gerade den Hall vom Treppenhaus so toll findet und alle Tonfrequenzen seiner Stimme ausprobieren möchte?

Oder wenn es nackt einkaufen gehen möchte?

Oder die künstlerische Ader das Kind dazu verleitet mit der Klobürste die Wände zu dekorieren (was wie eine Übertreibung klingt, aber keine ist)?

Mit der Strategie „Klare Worte finden, Einfühlen in das Kind und Alternativen finden“ bin ich meistens ganz gut gefahren.

Häufig beobachtet man aber, dass Kinder für die schlechten Gefühle der Eltern verantwortlich gemacht werden („Du bringst mich noch ins Grab“). Es wird mit moralischem Druck, Leidens- und Schuldgefühlen erzogen. Diese Kinder lernen ihren Selbstausdruck zu zügeln, Wut und Lebendigkeit hinunterzuschlucken. Sie wissen, dass sonst Beschuldigungen, Demütigungen und Liebesentzug folgen. Und je nach Tonfall kann auch ein „Boar, du bist mir zu laut. Geh auf dein Zimmer!“ dazu gehören, was wir wohl schon alle mag gesagt haben.

Das Kind lernt: Wenn ich bei Mama bleiben will, muss ich leise sein. Mama mag mich nur, wenn ich still bin.

Ergo: Liebe hat ihren Preis. Nur wenn ich mich selbst verleugne, bekomme ich Liebe.

(Und Zeit in der Nähe eines geliebten Menschen verbringen zu dürfen in einer Art und Weise, in der ich mich wohlfühle und die mir entspricht, ist ja ein absolutes Grundbedürfnis. Wenn die einzige gemeinsame Zeit mit meinem Partner daraus bestünde, dass ich still und unsichtbar neben ihm sitzen dürfe, während er stundenlang Formel Eins schaut, dann wäre das ganz schön unbefriedigend und traurig.)

Natürlich geht es auch nicht darum, dass die Eltern ihre Gefühle unterdrücken und sich selbst verbiegen, um nur ja nicht die freie Entfaltung des Kindes zu hemmen. Das ist ja nur die andere Seite derselben Medaille und verhindert auch echte Beziehungen.

Und das macht die Sache ja so schwer.
Wie bestärkt man denn jemandem in seinem Sein, wenn man gleichzeitig genau weiß, dass das Gekreische jetzt sofort aufhören muss, weil man sonst durchdreht?

Also, mir geht es ja mittlerweile so, dass ich viele Ausraster meiner Eltern nun viel besser verstehen kann, auch wenn ich nach wie vor weiß, wie sehr mich diese als Kind verletzt haben.

 

MITGEHEN anstatt dagegen zu kämpfen

Danke an Daria Shevtsova von Pexels

Die Strategie „Mit dem Flow gehen und kontrollierbare Alternativen finden“ stand meinen Eltern einfach nicht zur Verfügung.

Gerade bei Lärm hilft es mir beispielsweise, gemeinsam Lärm zu machen. Einfach für fünf Minuten seine Tätigkeiten unterbrechen und Hand in Hand mit dem Kind tanzen und grölen. Ob zu alten Nena-Songs oder zu Eltern- und Kind-kompatiblen Songs aktueller Bands wie Bummelkasten, Pele Mele, Deine Freunde oder andere.

Ebenso versuche ich mich bei körperlicher Unausgeglichenheit als Tobe-Partner zur Verfügung zu stellen. Mein Bett wird dann Kampf- und Kitzelfläche.

Ich versuche mir proaktiv Zeit zu nehmen für Rücken kraulen und Kopf streicheln (was mein Sohn sehr liebt)…

Jedes Kind ist anders und braucht etwas anderes. Und jedes Kind berührt eine andere Saite in uns. Deswegen verlangt es uns Eltern so viel ab, sie zu begleiten.
Und deswegen ist das ein Bereich, den ich besonders gerne coache. Gleichzeitig die Besonderheiten und Bedürfnisse der Kinder UND der Eltern in den Blick zu nehmen und im Alltagsstress wieder Weite im Herzen und das Gefühl von Handlungsfreiheit zu schaffen, ist einfach unglaublich wertvoll. Zu erleben wie Eltern in ihre eigene Kraft kommen und wieder Ideen entwickeln, um Dinge neu anzugehen und dann Wochen danach zu hören, was dieser „Energy Shifter“ Positives bewirkt hat.

Ich mochte ja schon immer den Ansatz (und das dazu gehörige Magazin mit seinen wohltuenden Impulsen) „Mit Kindern wachsen“. Ich erlebe immer wieder, dass wir als Eltern wachsen und heilen können und dass die Mühe, die wir uns mit unseren Kindern gemacht haben, ein riesengroßes Geschenk auch für andere Bereiche unseres Lebens wird.

Das, was ein Kind in diesen Jahren lernen kann ist folgendes:

Meinen Eltern und meinem Umfeld ist meine Meinung wichtig.
Mir wird zugehört und ich kann etwas bewirken.
Ich werde in meinem So-Sein-wie-ich-bin angenommen und geliebt.
Manchmal muss ich mich anpassen, aber ich muss mich nicht verbiegen.
Meine Wünsche und Eigenheiten werden im Alltag gerne berücksichtigt.

 

Die ersten 3 Lernschritte:

1 – Sicherheit und Willkommensein

2 – Bedürfnisse und Sattwerden

3 – Hilfe annehmen können

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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