Was für aufregende Wochen!

Im Augenblick bewegt mich ganz viel Privates. Ich habe wieder begonnen zu daten und versuche meinen Bindungsmustern auf die Spur zu kommen. Ich versuche zu mir selbst zu stehen und nur noch Dinge zu sagen, tun und zu versprechen, die sich richtig und gut anfühlen. Eine sehr spannende Challenge. Kann ich den Alleinerziehenden unter meinen Lesern nur empfehlen.

Aber daneben gab es auch zwei andere Ereignisse, die mich stark bewegt haben. Zum einen fand Ende April der AfS-Stillkongress statt. Ich war das erste Mal dabei und bin begeistert!

All diese engagierten und begeisterten Frauen, all die stillenden, getragenen, barfüßigen Kinder… Es war eine tolle Atmosphäre, die ich neben allem sachlichen Input unfassbar genossen habe.

 

Embrace – Du bist schön

Und dann lief am 11. Mai in vielen deutschen Kinos der Film „Embrace – Du bist schön!“. (In Köln läuft er übrigens auf jeden Fall noch bis zum 24.Mai in der Astor Filmlounge. Alle Termine finden sie hier. Die Astor Filmlounge ist sowieso einen Besuch wert. Und nehmt Männer mit. Diesen Film müssen auch viele Männer sehen!)

Der Film beschäftigt sich mit dem weiblichen Körpergefühl. Die meisten Frauen finden ihren Körper hässlich oder zumindest stark verbesserungswürdig. Gerade wenn sie Kinder geboren haben, hadern sie mit Schwangerschaftsstreifen, hängenden Brüsten und einigen Kilos mehr. Der Druck einen Körper zu haben, der dem Schönheitsideal entspricht, das uns in Werbung, Film und Modezeitschriften begegnet, ist groß.

Ich war da und ich habe Tränen über all die tapferen, schönen, liebenswerten Frauen vergossen – und über mich selbst. Die Lieblosigkeit, mit der ich mit mir und meinem Körper umgehe. All das Schamgefühl, dass mich nun auch bei meinen Dating-Erfahrungen dazu bringt, Angst davor zu haben, in Situationen zu geraten, in denen ich mich ausziehen müsste, weil mein Körper einige schwangerschaftsbedingte Spuren aufweist, so dass ich fast das Gefühle habe, ich müsste einem Mann Geld dafür geben, damit er mit mir schläft und nett zu mir ist.

Gut, ich könnte natürlich so richtig ernsthaft beginnen Sport zu machen. Nicht nur ein bisschen Fahrrad und Kickboard fahren, sondern joggen, Power-Yoga und regelmäßige Besuche bei Mrs. Sporty. Das Dilemma: Das mag ich auch alles nicht. Und dann kommt wieder eine neue Schamwelle über meine unerträgliche Faulheit. Dass ich es doch tatsächlich schöner finde, nachmittags und abends Zeit mit meinem Kind zu verbringen, einen Artikel für meinen Blog zu schreiben oder auch – oh Frevel! – einfach mal auf meiner Couch zu sitzen und zu stricken. Ihr seht schon – der Film hat einen Nerv getroffen.

Und in diese Zeit zwischen Daten, Auseinandersetzung mit Stillen, weiblichen Körpern und mit selbst, habe ich mal wieder ein Kapitel des Buches „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind“ von Pamela Druckerman gelesen.

 

Niedrige Stillquote in Frankreich

In Frankreich wird Stillen als negativ gesehen. Nur (noch) die Hälfte der Mütter stillen ihr Baby nach Verlassen des Krankenhauses. Nur 63% der Mütter fangen überhaupt damit an. Das liegt unter anderem mit daran, dass auch das Krankenhauspersonal nicht von den Vorteilen des Stillens zu überzeugen ist. Ja, ich weiß, aus Stillbegleiter-Sicht müsste ich von den „Nachteilen des Nicht-Stillens“ schreiben, da ja Stillen das Natürliche ist. Dies wird in Frankreich aber nicht so gesehen. Dort glauben die meisten Ärzte und Krankenschwestern nicht mal daran, dass Muttermilch in irgendeiner Form gesünder ist als Flaschennahrung. Der französische Kinderarzt und Stillbefürworter Pierre Bitoun versucht schon seit Jahren Kliniken von der großen Bedeutung des Stillens zu überzeugen. Aber gerade auch die jährlichen Auswertungen der Unicef machen es ihm oft schwer, denn französische Kinder schneiden im Schnitt sechs Punkte „gesünder“ ab als amerikanische Kinder, in denen die Stillrate deutlich höher ist. Allerdings muss man dieses Ergebnis meiner Meinung nach von vielen Gesichtspunkten aus betrachten. Beispielsweise leben in Amerika ca. 2,5 Millionen Kinder auf der Straße. Das ist jedes 30. Kind, das kein wirkliches Zuhause hat und dementsprechend auch keine entsprechende emotionale und Gesundheitsfürsorge. Im Jahr 2005 wurde erhoben, dass knapp 7% der in den USA lebenden Kinder keine Krankenversicherung haben und auch nicht über das Medicaid-Programm abgedeckt werden, da die Gehälter ihrer Eltern knapp über der Bemessungsgrenze liegen.

In Frankreich betreuen arme Familien von der gut ausgebauten Kinderbetreuung und der Sozialhilfe. Dort ermittelte die UNICEF 2005 (okay, ist schon länger her, aber neuere Zahlen finde ich aktuell nicht) einen Kinderarmutswert von 7,5%, was vergleichsweise wenig ist. Deutschland wurde im selben Jahr mit 14% eingeschätzt.

Das „Gesundheits-Argument“ zieht also für die Franzosen nicht. Das einzige, womit den Franzosen beizukommen wäre, wäre Genuss, so Druckerman. Allerdings kollidiert das Stillen auch mit dem gängigen Frauenbild, das sowohl die Frauen als auch die Männer aktiv unterstützen.

 

Stillen ist “nicht sexy”

Es beginnt damit, dass es für französische Frauen immens wichtig ist, bald nach der Geburt wieder einen schlanken Körper zu haben und sich elegant und weiblich zu kleiden. Jetzt würde Stillen beim Abnehmen ja helfen, allerdings wird Stillen nicht als sexy empfunden. Und Druckerman stellt fest, dass viele französische Männer den Anspruch erheben, denselben ästhetischen Anblick genießen zu wollen wie vor der Geburt. Dafür wird erwartet, dass Frauen „auf sich achten“: Sport machen, Getreide nur am Wochenende essen und ähnliches. Und die Brüste sind hierbei eben Teil dieses Anspruches. Und Brüste sind nun mal für Sex da und nicht fürs Stillen, n’est ce pas?

In Deutschland (im Mikrokosmos der Wöchnerinnenstation auf der ich arbeite) erlebe ich die Männer zumindest direkt nach Geburt als sehr am Stillen interessiert. Viele frisch gebackenen Väter versuchen sehr genau zu verstehen, wie das Stillen funktioniert und fragen sich, wie sie ihre Frauen unterstützen können. Einige wenige haben sogar ein Buch übers Stillen gelesen. Es ist weithin bekannt, wie wichtig das väterliche Einverständnis für eine längere Stilldauer ist.

Allerdings waren Männer auch auf dem AfS-Stillkongress nur Begleiter und Kinderhüter. In den Vorträgen habe ich keinen einzigen Mann gesehen.

Mein Sohn, den ich mitgenommen hatte, schaute sich um und sagte: „Hier sind aber wenige Männer. Interessieren die sich nicht fürs Stillen?“

Druckerman schreibt: „Sie (die Frauen) werden von ihren Männern als ‘vollwertige Frauen’ betrachtet.“ Das finde ich sehr missverständlich formuliert, denn meiner Meinung nach gehört zum vollwertigen Frausein nicht nur das Vögeln dazu (ich drücke es mal drastisch aus), sondern auch das Gebären und Ernähren. Ich empfinde die beschriebene Sicht auf Frauen im Gegenteil als sehr, sehr einseitig. Dekorativ, hübsch und sexy soll sie sein, produktiv und ansonsten soll man ihnen ihre Mutterschaft weder an ihrem Körper noch an ihrem Verhalten anmerken.

Druckerman bemerkt: „Wäre kein Kind bei ihnen, würde man gar nicht merken, dass sie Mütter sind.“

 

“Wäre kein Kind bei ihnen, würde man gar nicht merken, dass sie Mütter sind.”

Auf den Spielplätzen sieht sie keine französische Mutter, die mit ihrem Kind im Sand sitzt oder mit ihm rutscht.

In den Wohnungen wird vielerorts peinlich genau darauf geachtet, dass ja kein Spielzeug die geheiligten Wohnräume der Erwachsenen verunziert.

Die Krippen werden auch von vielen nicht arbeitenden Müttern genutzt, um Zeit für Yoga, einen Friseurtermin oder andere „mentale Auszeiten“ zu haben.

Für mich klingt das alles unfassbar distanziert. Nicht stillen. Von Beginn an im eigenen Zimmer schlafen. Nicht schreien lassen, aber immer kurz warten lassen, um „Geduld zu üben“. Schon Babys täglich 9 Stunden in die Kinderbetreuung geben. Nicht mit den Kindern spielen und somit die Sehnsucht der Kinder nach „Gemeinsamen Tun“ unbeantwortet lassen. In meinen Ohren klingt das nach eine großen emotionalen Dürre.

 

Gibt es eine Unterscheidung zwischen “Frau” und “Mutter”?

Andererseits finde ich die Trennung zwischen „Frau“ und „Mutter“ auch oft bizarr. Ich bin nun kein Typ, der sich gerne sexy anzieht, aber das hat nichts mit meiner Mutterschaft zu tun. So nach dem Motto: „Das brauche ich jetzt nicht mehr.“ Mein Kind darf mich als schöne Frau wahrnehmen. Es darf mich als Mensch mit Bedürfnissen wahrnehmen, auch sexuellen. Es verfolgt auch mein Daten mit sehr viel Spannung und wir haben schon viele bereichernde Gespräche darüber geführt, worauf es mir bei Beziehungen, beim Verlieben ankommt, welche Werte ich wichtig und was ich anziehend finde. Warum sollten diese Seiten von einem Kind ferngehalten werden? Partnersuche, Beziehungen und Freundschaften sind auch für Kinder immens wichtige Themen und werden es von Jahr zu Jahr mehr. Viele Menschen denken doch sonst bei so gut wie allen Themen, die das Kind irgendwann mal betreffen, „dass es das doch mal lernen muss“, aber dieses für die Lebenszufriedenheit so wichtige Thema, wird oft als „nicht kindgerecht“ ausgeklammert.

Sobald allerdings irgendeine Form von „Müssen“ hinein spielt; sobald Frauen bestimmte Kriterien erfüllen sollen, um den Ansprüchen ihrer Männer und der hippen Geschlechtsgenossen gerecht zu werden, ist es natürlich total bescheuert. Niemand hat einen „Anspruch auf meinen Körper“, der wieder genauso schlank und dellenlos ist wie vor meiner Schwangerschaft. Niemand hat überhaupt einen Anspruch auf meinen Körper. Selbst wenn ich verheiratet wäre.
Und damit was ästhetisch ist und was angeblich nicht, sollten wir uns alle mal dringend auseinandersetzen.
Wir sind verschieden. Unsere Körper sind verschieden. Zeit und Kinder hinterlassen Spuren. Das ist normal und gut so. Und wir sind alle wunderschön.
Dafür müssen wir keine Highheels tragen und ein schickes Kleid anziehen. Und jahrelanges Stillen hat nichts damit zu tun, ob wir erotisch sind oder nicht. Es ist schlicht und ergreifend das, wozu wir gemacht sind. Es gehört ursprünglicherweise zum Frau-Sein dazu.

Ich für mich möchte keinen Krieg mehr gegen meinen Körper führen. Ich möchte nicht mehr glauben, dass ich mit Kleidergröße 40 zu fett bin, weil ich einen Bauch mit Dehnungsstreifen als Erinnerung an die Schwangerschaft mit meinem Sohn übrig behalten habe. Ich möchte meine Kurven lieben lernen. Ich möchte “erotische Körper” nicht mehr mit ge-photoshop-ten Modells verwechseln, die selbst in Wirklichkeit nicht so aussehen, wie auf diesen Bildern. Ich möchte mich in meinem Körper wohlfühlen.

Und eher bleibe ich mein restliches Leben Single anstatt einmal mit einem Mann zusammenzuleben, der einen “Anspruch auf meinen Körper” erhebt und mir sagt, wie ich in seinen Augen zu sein habe.

 

Weitere Auseinandersetzungen mit dem Buch “Warum französische Kinder keine Nervensägen sind”:

„Das Druckerman-Buch“ – Teil 1: Schwangerschaft und Geburt

„Das Druckerman-Buch“ – Teil 2: Ruhige Nächte schon nach 2-3 Monaten?

 

„Das Druckerman-Buch“ – Teil 3 – Die französische Gedulds-Erziehung

Das Druckerman-Buch Teil 4 – „Die Zieh-Eltern französischer Erziehung“

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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