Die ZEIT-Serie „Zehn nach 8“ veröffentlichte diese Woche einen Gastbeitrag der Autorin Caroline Rosales, die den Blog „StadtLandMama“betreibt.

In diesem setzte sie den Erziehungsstil “Attachment Parenting” mit vorgeschriebener Selbstaufgabe gleich und kommt am Ende zu dem Schluss, dass sie nun auch zwischendurch mal auf ihre eigenen Bedürfnisse achtet und auch mal „Nein“ sagt – sich also in ihren Augen von AP (Attachment Parenting) abgewendet hat.

Was ich so traurig daran finde, ist, dass die Autorin „Attachment Parenting“ dafür verurteilt, was es nicht ist, sondern dafür, was andere daraus gemacht haben.
Die Situation, die Caroline Rosales als „Tiefpunkt“ beschreibt, als sie selbst krank und erschöpft mit ihren Kindern im Park ist, wäre – ob AP oder nicht – eine Herausforderung gewesen. Kinder zu versorgen, wenn es einem selbst schlecht geht ist eine Mammutaufgabe! Deswegen ist es so wichtig, sich (und den Kindern) ein Netzwerk aufzubauen. Aber ein einjähriges Kind noch voll zu stillen und einen Dreijährigen nicht in die Betreuung zu geben hat auch nichts mit “Attachment Parenting” zu tun.

 

Was ist eigentlich “Attachment Parenting”?

William Sears stellt in seinem Grundlagenbuch „Attachment Parenting“ (endlich in deutscher Übersetzung erschienen 2012 im tologo-Verlag) die verschiedenen Umgangsmöglichkeiten mit Babys als Werkzeuge dar:

  • Bonding direkt nach der Geburt
  • Stillen
  • Tragen
  • Familienbett
  • Babyweinen ernstnehmen
  • Keine Schlaflernprogramme nutzen
  • Balance zwischen Baby- und Elternbedürfnissen

Diese können, aber MÜSSEN nicht alle gleichzeitig genutzt werden, jedoch wird der Ausgewogenheit zwischen kindlichen und elterlichen Bedürfnissen sogar ein eigenes Kapitel gewidmet.

„Attachment Parenting“ heißt also runtergebrochen einfach: Gib deinem Baby tags und nachts ganz viele Kuscheleinheiten, nimm’ seine Reaktionen ernst und achte darauf, dass die Menschen, denen du dein Baby anvertraust dasselbe tun. #APfürmich

Das Buch handelt explizit vom Umgang mit Babys und geht auf den Umgang mit Kleinkindern nicht ein. Weder langzeitstillen, windelfrei/Stoffwindeln, babyled-weaning oder Abwendung von Erziehung wurden hier thematisiert. William Sears stellt im Gegenteil sogar in Aussicht, dass das Anwenden möglichst vieler Werkzeuge die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich Kinder später gut benehmen. Somit sieht er den vielleicht anstrengenderem Umgang mit Babys als Investition für die Zukunft. Und auch Nicola Schmidt vom „artgerecht“-Projekt beschreibt mit ihrem „Energie-Erhaltungs-Satz“ genau dasselbe, wenn sie sagt: „Die Energie, die wir für ein Kind aufwenden müssen, ist immer dieselbe – wir können uns aber dafür entscheiden, WANN wir sie aufwenden.“ Investieren wir in den ersten Jahren in eine gute Bindung und in eine vertrauensvolle Beziehung, (die ja keine Einbahnstraße sind, denn auch die ELTERN lernen ja ihrem Kind zu vertrauen), werden die Kinder sich danach von sich aus auf den Weg machen autonom die Welt entdecken. Das eine Kind früher; das andere später.

 

Die unheilvolle Allianz von Unsicherheit und mangelndem Selbstwertgefühl

Ja, es gibt den Wahnsinn, den Caroline Rosales aus ihrer Elternhölle am Prenzlauer Berg beschreibt. Aber dieser hat nichts mit „Attachment Parenting“ zu tun, sondern damit, dass Mütter mit ihren Babys oft versuchen ihren Selbstwert aufzupolieren. Dies natürlich unbewusst. Aber bei einem Baby haben wir das Gefühl etwas „in der Hand zu haben“, „Einfluss zu haben“ und „wichtig zu sein“. Gleichzeitig erleben viele Mütter – inklusive mir – diese Macht, diese Bedeutung oft als sehr groß und überfordernd. Bei all den Möglichkeiten: Was MACHE ich denn jetzt konkret am besten? Und immer die unterschwellige Angst: Schade ich womöglich meinem Kind? Diese Kombination aus Angst, Druck, das richtige für das Kind zu tun und angeknackstem Selbstwertgefühl ist meines Erachtens des Pudels Kern. Die führt dazu, dass Eltern ihre Kinder alles bestimmen lassen, Angst vor Konfrontationen mit ihnen haben und irgendwie als Menschen und Personen gar nicht mehr zu erkennen sind.

Jemand der sich seiner selbst bewusst ist und sich selbst mag, ist natürlich nett zu einem hilfsbedürftigen Lebewesen und wird alle seine Bedürfnisse ernst nehmen; er wird aber genauso nach kreativen Wegen suchen, wie er seine eigenen Bedürfnisse auch ernst nehmen kann. Ein Mensch, der sich mag, ist auch zu sich selbst fürsorglich. Auch mit einem klitzekleinen Baby, das naturgemäß viele Bedürfnisse hat, die es noch nicht selbst befriedigen kann.

Kinder, und auch Babys, suchen die Begegnung mit einem echten Gegenüber. Sie lernen von uns wie man für andere und wie man für sich selbst sorgt. Auf diese Balance bin ich in meinem Artikel zu meiner Philosophie „Nah bei dir und nah bei mir“ eingegangen.

Und diese Kombination aus Angst, Druck und mangelndem Selbstwert führt auch dazu, dass sich vor allem Mütter untereinander darüber bekriegen, wer es denn nun richtiger macht.

Jemand, der sich seiner selbst bewusst ist und sich selbst mag, kann ebenfalls auf vielleicht spitze Bemerkungen anders reagieren, denn er kann anerkennen, dass andere ebenso gute Gründe für ihre Entscheidungen haben, wie man selbst und dass sie sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Und auch, dass für die eine Familie etwas anderes richtig sein kann als für die andere.

 

Sich selbst als wichtig zu erachten und gut zu sich zu sein, IST Attachment Parenting!

In diesem Sinne möchte ich der Autorin eigentlich nur zurufen:

„Jaaaa, endlich hast du es verstanden!! Du bist wichtig! Deine Kinder sind wichtig, aber du bist auch wichtig! Wie schön, dass du einen Weg gefunden hast, mit dem es euch allen gut geht! DAS ist Attachment Parenting!

Ähm, und könntest du bitte jetzt diesen unsäglichen Artikel mit völlig falschen Behauptungen und Fakten aus der Welt schaffen? Danke.“

 

 

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Wer mehr über Attachment Parenting wissen möchte:

Die phantastische Nora Imlau ist in ihrem Blog darauf eingegangen.

 

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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