In meinen Beratungen und den KinderBesserVerstehen-Gesprächskreisen geht es immer wieder um „Mütterliche Wut“.

Mütter hadern damit, wie sie in bestimmten Situationen reagiert haben. Dass sie geschrien, erpresst und vielleicht sogar gestraft haben.

Gedanken zum Umgang mit eigener Wut habe ich ja bereits vor einiger Zeit zusammengetragen.

Im Zuge der „Attachment Parenting = Selbstaufgabe“-Debatte möchte ich auf dieses Thema aber noch einmal eingehen.

Denn aus eigener Erfahrung weiß ich, dass einem Ausraster unzählige Situationen vorausgehen, in denen man nachgegeben hat, seine eigenen Bedürfnisse nach hinten geschoben hat, weil die des Kindes vermeintlich wichtiger sind und man dem Kind keine weitere Enttäuschung (und sich selbst keinen weiteren Wutanfall) zumuten möchte.

Das ist natürlich auch (und vor allem) dem Umstand geschuldet, dass es meist entweder so ist, dass Mutter und Kind(er) den ganzen Tag aufeinander hocken oder aber Mutter und Kind den Tag getrennt in Arbeit und Kindergarten verbringen und danach beide völlig erledigt sind und die mütterliche to-do-Liste noch so lang ist. Eine gesunde Balance zwischen Arbeit, Zeit mit Kind und Haushalt gibt es tatsächlich selten – das ist in unserer Gesellschaft auch nicht vorgesehen. Und so pfeifen am Nachmittag und Abend sowohl Mütter als auch Kinder aus dem letzten Loch.

Dass ich die Väter hier rauslasse, liegt einzig und allein an meinen praktischen Erfahrungen, dass die meisten Männer weniger in diesem Hamsterrad feststecken bzw. sich selbst so in ihm empfinden, mit ihren eigenen Reaktionen häufig viel mehr im Reinen sind und die Hauptlast der Versorgung der Kinder und die Verantwortung für Alltagsdinge in vielen Familien auch weiterhin in Frauenhand liegt.

Woran das liegt? Keine Ahnung, ich bin keine Gender-Spezialistin. Ist das ein altes weibliches Rollenbild, das wir Mütter nicht ablegen können? Sich mit dem Kopf Gleichberechtigung wünschen und im Herzen aber das übergehen der eigenen Gefühle und Bedürfnisse als erstrebenswert ansehen, weil „endlose Geduld und Aufopferungsbereitschaft“ ja so löbliche weibliche Ideale sind, die wir oft in unser Kindheit erlernt haben?

 

Mütter haben hohe Ansprüche an sich selbst

Hohe Ansprüche an sich selbst stellen können die Mütter, mit denen ich zu tun habe, jedenfalls (und ich auch). Sie wollen geduldig sein, freundlich, unkompliziert, liebevoll und fürsorglich – auch in Konfliktsituationen. Dass 90 von 100 Situationen gut gelöst werden, spielt in der persönlichen Wahrnehmung oft keine Rolle. In quälender Erinnerung jedoch bleiben die Momente, in denen man alle guten Vorsätze über Bord geworfen hat und zur „Schrei-Mutter“ wurde.

Innere Glaubenssätze sind dann beispielsweise „Gute Mütter sind nicht überfordert“. Und die Reaktion darauf ist die Ablehnung und Verurteilung seiner selbst. Das ist meist eine ungute Spirale, denn Selbstablehnung verhilft uns nicht zu Wachstum und zu einer besseren Beziehung zu unserem Kind. Die beginnt nämlich auch mit einer besseren Beziehung und Barmherzigkeit mit uns selbst. Na ja, und jetzt schreibe ich das hier so und dann lehnen wir uns selbst ab, weil wir uns selbst ablehnen und nicht mit unseren Fehlern annehmen. Ganz schön verzwickt.

Manche eskalierten Situationen lassen sich vermeiden, wenn wir lernen liebevoll mit uns selbst umzugehen und uns selbst ernstzunehmen.
Denn: WUT HAT IMMER EINE BOTSCHAFT!

    Sich selbst wertschätzen und Raum geben

    Unser Gehirn ist darauf gepolt, den Fokus auf das Negative zu legen. Wir können versuchen, „Licht-Momente“ festzuhalten – besonders verbindende Momente, die wir mit unserem Kind geteilt haben. Konfliktsituationen, die wir gut gelöst haben, kreative Ideen, die wir gehabt haben und welchen zuverlässigen Halt unser Kind im Alltag mit uns hat.
    Sich selbst Raum zu geben, heißt aber auch, nicht zu vergessen, wer wir neben der Arbeitnehmerin und Mutter auch noch sind und was wir mögen. Und dass Muttersein nicht automatisch heißt, dass wir automatisch zurückstecken zu müssen. Bei mir persönlich ein gutes Beispiel: der iPod in unserer Küche. Ich liebe es mit (in meinen Ohren) guter Musik zu kochen und dabei laut mitzusingen. Lange Zeit habe ich das als Mutter nicht gemacht. Denn sofort kam mein Kind, beschwerte sich über die Musik und wollte seine Lieblingslieder hören. Ja, das kann man MAL machen, aber nicht immer. Und meine eigene Freude ist mir mittlerweile sehr wichtig geworden. Für das Kind müssen dann Alternativen her – je älter es wurde, desto öfter wurde das Tür zu und im eigenen Zimmer andere Musik an; früher haben wir uns dann abgewechselt. Kann ich zwischendurch mit Alfie Boe durch die Gegend schmettern, ertrage ich auch die millionste Wiederholung von „Let it go“ oder „Atemlos“.

    Es kann auch heißen, sich bewusst Zeit und Geld für Entspannung einzuplanen. Wenn die Kinder noch kleiner sind, ist das vielleicht eine halbe Stunde in der Badewanne, joggen, schwimmen, bei der Thai-Massage, während die Oma oder Freundin den Kinderwagen schiebt. Wenn das Kind größer ist und bereits in Schule oder Kindergarten geht, kann man auch Urlaubstage für…äh… ja, URLAUBSTAGE verwenden. Ich gehe beispielsweise ungefähr einmal im Monat in die Sauna. Das tut mir gut. Das gönne ich mir. Oder auch Konzerte, Tanzen, die wöchentliche Yoga-Stunde… was auch immer uns zufrieden macht und NUR MIT UNS zu tun hat, ist eine wertvolle Investition in uns selbst und damit auch in eine zufriedene Mutter und Partnerin.

    Leuchtturm sein: Eigene Grenzen und Gefühle wahrnehmen und zeigen

    Es ist etwas ganz anderes, sich mit seinen Gefühlen zu zeigen und dann mit dem Kind zu einer Lösung zu finden, als seine Gefühle so lange herunterzuschlucken, bis alles aus einem herausplatzt. Hier entsteht auch oft eine ungünstige Verschiebung, dass unser Tank so leer ist, dass wir von unserem Kind erwarten, dass es nun Rücksicht auf uns nimmt. Dabei ist dies unsere Aufgabe, die wir immer wieder auf das Kind abschieben. Auf diesem Missverständnis basiert auch der Spruch „Gibst du deinem Kind den kleinen Finger, nimmt es sich die ganze Hand.“ Das impliziert einen wehrlosen Erwachsenen und ein tyrannisches Kind, das eine große Macht hat. Die „Macht“ und Verantwortung der leuchtenden Strahlkraft, wer wir sind und wer wir sein wollen liegt aber ausschließlich bei uns – wir müssen uns SELBST ERMÄCHTIGEN. In einer Zeit, in der es verpönt war zu wollen, sich selbst wichtig zu nehmen, sich mit sich selbst zu beschäftigen – erst recht für Frauen, war dieser Weg natürlich ungangbar. Wir dürfen es heute lernen.

    Mehr Sätze mit „Ich will“ und „Ich brauche“

    Das Wollen ist den meisten von uns gründlich ausgetrieben worden. Das dürfen wir uns zurückerobern. Nicht, um auch alles zu KRIEGEN, was wir wollen, ohne Rücksicht auf Verluste, aber um ganz bei uns zu sein, uns nicht zu verstecken mit dem, wer wir sind und was wir brauchen. Zu wissen, was wir wollen und aktiv dafür einzustehen, ist ein großer Schritt in Richtung Selbstermächtigung. Nicht nur heimlich wünschen und passiv darauf warten, dass irgendwer hoffentlich erkennt, was wir brauchen und uns ungeliebt und wertlos fühlen, wenn nicht.

    Es klingt völlig anders, wenn eine Mutter sich ihrer selbst bewusst sagt „Du, ich merke, dass ich langsam nach Hause möchte. Sag mir mal, was du noch machen willst, bevor wir aufbrechen“ anstatt dass sie zögerlich fragt: „Sollen wir mal langsam nach Hause gehen?“, um dann anzufangen zu argumentieren, warum es doch langsam mal an der Zeit wäre, loszugehen.

    Von sich selbst in der ersten Person sprechen

    Ich“ und nicht „Die Mama“!! Sich selbst nur noch als „die Mama“ wahrnehmen und ausdrücken hat großen Einfluss – sowohl wie klar wir uns selbst wahrnehmen als auch wie klar und präsent uns unser Kind erlebt. Dafür müssen wir uns nur einen Moment vorstellen, dass wir so mit unserem Partner reden würden: „Die Natascha möchte aber jetzt gerne nach Hause. Die Natascha muss nämlich auf Toilette.“

    Seine eigenen Tätigkeiten ernst nehmen

    Es ist möglich sein Kind ernst- und wahrnehmen und dennoch nicht sofort alles stehen und liegen lassen, wenn es ruft oder am Bein zerrt. Dabei geht es nicht darum, dem KIND eine Lektion zu erteilen („Das Kind muss lernen auch mal zu warten!“), sondern sich selbst Raum zu geben. Es geht auch nicht darum, dann beispielsweise komplett zu Ende zu kochen und das Kind nicht zu beachten, sondern sowohl seine eigenen Bedürfnisse als auch die dies Kindes im Blick zu haben. „Oh, du möchtest mir etwas zeigen? Du bist ja ganz aufgeregt! Ich schneide gerade die Zucchini fertig klein und dann komme ich gerne mit. Hast du etwas gebaut? Jetzt bin ich aber neugierig!“ Und natürlich ist dies auch keine „feste Regel“, sondern wird je nach eigenem und kindlichem Gemütszustand angepasst.

    Müssen weglassen

    Müssen“ macht uns zu Opfern; es zeigt unseren Kindern, dass ihre Eltern passiv einer „höheren Macht“ ausgesetzt sind (und uns selbst innerlich auch – es fühlt sich auch für uns nach Druck an und wir kommen schneller in ein Gefühl der Hilflosigkeit). „Ich muss jetzt zur Arbeit!“ fühlt sich anders an als „Das Büro öffnet in zwanzig Minuten und mir ist es wichtig, pünktlich zu sein.“ „Ich muss noch kochen“ fühlt sich anders an als „Ich will gleich für das Abendbrot sorgen, weil ich weiß, dass dann der Abend friedlicher wird.“ (sprich: In dem ich koche, SORGE ich für mich und mein Wohlergehen, anstatt mich fremdbestimmt zu fühlen).

    Dazu habe ich einen tollen Artikel gefunden.

    Liebevoller mit uns selbst sein

    Oft haben wir sehr hohe Erwartungen an uns und unsere „Strapazierfertigkeit“. Sätze wie „Damit sollte ich doch fertig werden!“ „Ich sollte nicht so wütend werden!“ lösen ein Gefühl des Versagens aus und schüren gleichzeitig Angst vor erneuten Versagen.

    Dabei geht es nicht um Perfektion. Nicht darum, niemals zu schreien. Sich niemals überfordert zu fühlen. Solch ein Zustand wäre nur für uns selbst angenehm, nicht aber für unsere Kinder. Zu erfahren, dass wir alle menschlich sind und wie man Verantwortung für seine Schwächen übernehmen kann – das ist wertvoll. Der Schaden in den Kinderseelen entsteht hauptsächlich dadurch, dass viele Eltern ihren Kindern die SCHULD dafür geben, dass es soweit gekommen ist. Weil die Kinder so böse waren, MUSSTE die Mama so schreien. Selbst schuld.

    Stattdessen:
    Ich habe vergessen für mich zu sorgen und plötzlich war ich so wütend, dass ich ganz laut schreien musste. Du hast dich bestimmt ganz schön erschreckt, oder? Es tut mir Leid. Ich möchte das üben für mich selbst zu sorgen, damit ich nicht so wütend werde.“ Dabei ist nicht die Wut „das Schlimme“, sondern dass wir so im Mangel sind, dass wir Gewalt einsetzen (ob verbal oder körperlich).

    Wahrnehmen:

    Oh, ich merke, dass ich wütend werde.“

    Annehmen:

    Das ist aber aber auch eine wirklich schwierige Situation gerade.“

    Selbst-Einfühlung:

    Mein Körper sagt mir ganz deutlich, dass sich das hier nicht gut anfühlt.“

    Eine klare Bitte formulieren:

    Ich brauche, dass du…“

    Ratlosigkeit gehört dazu

    Ich darf ratlos sein und muss nicht immer direkt wissen, was zu tun ist.“ Die liebevolle Annahme sich gerade hilflos zu fühlen und wie unangenehm sich das anfühlt, macht uns auch offen dafür, dass unser Kind sich vermutlich gerade ähnlich fühlt.

    Und uns sinnbildlich zugestehen, dass wir gerade mit leeren Händen dastehen und quasi bei Null anzusetzen, ist oft der Auftakt zu einer neuen Ideen-Kaskade fernab der anfänglichen oft starren inneren „Zielvorgabe“. Das löst jede Menge Glückshormone aus und ist bereichernd für Mutter und Kind.

    Wenn es schnell gehen muss

    wenn beispielsweise das Kind mit Laufrad zu weit weg fährt

    Laut mit Namen ansprechen

    STOP!“

    Bleib stehen!“

    Dann wieder freundlicher:

    Fahr mal so schnell du kannst zu mir.“ Wahrnehmen: „Ich brauche gerade mein Kind in meiner Nähe, weil ich mich so erschreckt habe” und wissen, dass es dem Kind hilft, den Auftrag auszuführen, wenn es direkt etwas konkretes tun kann.

    Wenn die Wut brodelt – die 90-Sekunden-Regel

    Wenn wir merken, dass wir kurz davor sind auszurasten, hilft es oft sich auf äußere Reize zu konzentrieren, die einen wieder ins „Hier und Jetzt“ bringen

    Es sind 90 Sekunden nach einem Adrenalin-Push, nach denen der Körper den langsam wieder herunterfährt, sofern nicht weiter Öl ins Feuer gegossen wird. Eine bis eineinhalb Minuten, die es zu überbrücken gilt. Wenn man in der Küche steht und der Teller mit Spaghetti fällt runter. Wenn man ins Kinderzimmer geht, in dem die Kinder sich gerade streiten. Wenn das Kind gerade schreiend auf dem Boden liegt und nicht vor und zurück zu bewegen ist. Wie könnte man seinen Stress umlenken?

    den Boden unter den Füßen fühlen (sich vielleicht dafür Schuhe und Strümpfe ausziehen, etwas zu TUN, kann zusätzlich helfen)

    die Hände streicheln/massieren/drücken oder die Arme, den Bauch, die Ohrläppchen… egal… sich voll auf die Berührung konzentrieren

    sich an eine kalte Wand lehnen

    sich einen Gegenstand ganz genau ansehen oder ein Bild an der Wand

    sein Herz gedanklich mit Sonnenlicht füllen

    sich auf ein bestimmtes Geräusch konzentrieren (Vögel, vorbeifahrende Autos…)

    … sich achtsam die Hände waschen mit kalten oder angenehm warmen Wasser (wenn man eh gerade in Küche oder Badezimmer ist)

Ich wünsche Euch viel Freude auf dem Weg dahin Euren Leuchtturm wieder anzuzünden und Euer Strahlen immer wieder zu finden!

 
 

Weiterführende Literatur:

“Mama, warum schreist du so laut?” von Britta Hahn
“Praktische Selbstempathie” von Gerlinde R. Fritsch
“Was deine Wut dir sagen will” von Marshall B. Rosenberg
“Aggression” von Jesper Juul

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    Natascha Makoschey (Baujahr 1983) hat einen 9-jährigen Sohn und arbeitet als Kinderkrankenschwester in der Geburtshilfe. Wenn sie nicht gerade Bücher liest, zwangsweise Uno spielt oder darüber nachdenken muss, welchen Pokémon sie am liebsten mag, dann quatscht, strickt oder singt sie.

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